Ungunsträume und Güteraustausch



Steigender Bevölkerungsdruck zwingt den Menschen, auch Ungunstgebiete zu besiedeln.

Zu diesem Zweck wird versucht, jene mit künstlichen Einrichtungen (Pflanzenkulturen, Wasserversorgung, Heizung) auszustatten, die sie einem humanökologischen Optimum angleichen. Solche Einrichtungen sind auch in naturfernen urbanen Arealen erforderlich.

Zweckgerichtete Technologien haben aber zumeist völlig die Fähigkeit zur Selbstregulation eingebüßt, und es ist nicht sicher, ob sie langfristig überlebensfähig sind.

Es darf auch nicht die ökonomische Komponente vernachlässigt werden - womit sollen aufwändige Technologien überhaupt bezahlt werden?


Der verbreitetste Umgang mit regional beschränkten Ressourcen ist ihr Austausch gegen regional reichlicher vorhandene Ressourcen, zu welchen leider auch das Geld gerechnet werden kann.

Der eigentliche 'point of no return' des globalen Umweltsystems wird daher nicht in den ausgebeuteten Regionen angesteuert, sondern in den ausbeutenden, übertechnifizierten ökonomischen Zentren, die stets überreichlich mit Finanzressourcen ausgestattet sind.
Da sich hier auch die institutionellen Zentren des Wissens befinden, ist zu befürchten, dass von ihnen keine adäquaten Konzepte für eine ökonomische und ökologische Ressourcennutzung ausgehen.




Ungunstgebiete sind auf alternative Einkommen angewiesen. Am Anfang stand hier wohl der Raubzug und die Eroberung; man könnte in dieser aggressiven Komponente sogar den Ursprung der auf Export und Verdrängung beruhenden heutigen globalen Marktwirtschaft ausmachen.
Was lag für die kriegerischen Völker näher als mit ihrem Raubgut zu handeln? - Außerdem hatten sie (beispielsweise die Spätgermanen des Bergischen Landes) technisches Know How bei der Waffenproduktion, und auch dieses sicherte ihnen eine starke Position auf den Märkten. Eine solche waffentechnische Komponente sind auch die Energieträger geworden!


Der Güter- und Stoffaustausch zwischen biologisch unproduktiven und teilweise dennoch dicht besiedelten Räumen (Beispiel Stadtwüsten) und den ökologisch oder als Quelle geologischer Rohstoffe produktiven Gebieten stellt eines der wichtigsten Umweltprobleme dar. Dieser Austausch verläuft einseitig und führt fast zwangsläufig zu einem Raubbau.

Es ist daher wichtig, seine Sicht nicht auf örtlich begrenzte ökonomische Bedingungen (wie die Kaufkraft von Texanern und Ölscheichs) zu beschränken, sondern den globalen Überblick zu behalten.

Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt wurden der Handelsaustausch und die Globalisierung als überaus wohltätige Einrichtung dargestellt, die beispielsweise die Not in Hungergebieten (oder Ungunsträumen) lindere.


Ursprünglich verlief ein Güter- und Stoffaustausch zwischen produktiven und unproduktiven Räumen über eine Tausch-Ökonomie (solange es etwas zu tauschen gab). Diese kann in archaischen Gesellschaften durchaus auch eine ökologisch förderliche Funktion inne gehabt haben - etwa indem Wüsten und Steppen mit Biomasse angereichert wurden, oder indem Nutzorganismen in Ungunstgebieten verbreitet wurden ...
Zunehmend war die Handelsökonomie aber auch mit Raubbau und der Zerstörung ökologischer Funktionen verbunden, was oft einer Verwandlung der Lieferländer in unproduktive Zonen gleich kam.

Die Ursache liegt darin, dass der Austausch nicht zwischen Gleichberechtigten erfolgte, sondern allein schon wegen der Handelsinteressen zur ökologischen Ausbeutung führte, - oder wegen des Ungleichgewichts zwischen Gunst- und Ungunstgebieten zur einseitigen Akkumulation von Reichtum und Macht.

In heutiger Zeit nimmt der Handel eine besondere Perversion an, weil Ungunsträume dank ihrer Rohstoffe und Produktionsgüter größere Macht erreichen können als die ökologischen Gunstgebiete. Die heutigen, auf biologische Ausbeutung ausgerichteten, politischen und ökonomischen Systeme wollen keine komplexen Ökosysteme, sondern billige Energie (und billiges Geld).

Die Biomasse der zur Zeit gesuchtesten Energieträger Erdöl und Erdgas wurde in anoxischen, warmen Flachmeeren erzeugt in einem Klima, das keine höheren Lebensformen duldete.
Sollen wir dieses Klima etwa als humanökologisches Optimum betrachten?



Transformation der Produktionsverhältnisse


Die Industrialisierung ('great transformation') des 19. Jh.s fand auf dem Rücken der Bauern statt, deren Produktion durch den Druck eines freien Marktes wertlos gemacht wurde. Die Industrialisierung und Urbanisierung war dennoch nur dank der Überschüsse der Landwirtschaft möglich. [Dobkowski/ Wallimann 1998]

Auch die Weiterführung dieser Transformation in Globalisierung beruht womöglich allein auf dem agrarökonomischen Überschuss der Industrieländer mit humid-gemäßigtem Klima.

Doch die traditionellen Energiekreisläufe integraler Agrarwirtschaft wurden durch einen stark erhöhten und uneffektiven Energieverbrauch urbaner Technokratien ersetzt.

Industriearbeitsplätze führten zur Migration immer größerer Bevölkerungsteile in die urbanisierten Zentren.

Laut Dobkowski/ Wallimann 1998 lebten am Ende des 20. Jh.s allerdings immer noch 80 % der Weltbevölkerung in agrarisch geprägten Gesellschaften. Diese Aussage ist allerdings ohne wirklichen Gehalt, da der Anteil der Berufstätigen in der Landwirtschaft auch in solchen Gesellschaften um 100 - 200 % schwanken kann, andererseits auch Teile der Dienstleistungen noch agrarisch geprägt sein können. Laut aktuellem CIA-Factbook ("Labor force") sind nur in den schwarzafrikanischen Ländern, in Papua-Neuguinea und außerdem in Afghanistan und Nepal mehr als 75 % der Bevölkerung im Agrarsektor beschäftigt - in den USA nur 0,7 % und weltweit etwa 35 %.



Von Bauern, Bürgern und von manchen Wissenschaftlern wurde eine Ideologie von der Wohltätigkeit und Umweltverträglichkeit der Sesshaftigkeit im Vergleich mit Naturvölkern, Brandrodungsbauern oder nomadischen Viehhaltern geprägt.

Doch gerade in der heutigen Zeit ist oft nur die Sesshaftigkeit Weniger mit wachsendem Wohlstand verbunden, während beispielsweise in Amazonien die um ihre Landrechte gebrachten Ureinwohner (auch nicht-menschliche) das ärmliche Leben von Flüchtlingen führen müssen.

Noch fragwürdiger ist diese Ideologie hinsichtlich der Sesshaftigkeit der Bewohner urbanisierter Machtzentren, die nicht nur mit extraktiver umweltschädlicher Akkumulation, sondern auch mit einem umweltschädlichen touristischen Nomadismus verbunden ist, ganz zu schweigen vom Nomadismus ihres Kapitals ...


Als Antwort auf den Druck des Kapitals und der Umweltzerstörung hat sich außerdem ein prekärer moderner Nomadismus entwickelt - die Migrationsbewegungen besitzloser und vertriebener Bevölkerungsgruppen.
Zur Zeit machen die vielen Millionen Flüchtlinge weltweit weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung aus. Bei einer weiter ungehemmten Umweltzerstörung beispielsweise durch eine starke Klimaerwärmung könnte sich ihr Anteil aber leicht auf das 10- oder 20-Fache erhöhen. Die Migration von Umweltflüchtlingen könnte selbst zu einem Umweltproblem werden!



Zentralismus und Peripherie


Die Vorgänge, die in den letzten Jahrzehnten in eher peripheren Räumen oder in Brasilien und Indonesien an der Grenze zur Wildnis zu beobachten waren, zeigten, dass auch naturnähere Regionen und unterentwickelte Länder instabil und von Umweltzerstörungen bedroht sind [UNU 1995].

Es sind nicht die lokalen Bewohner und Bedürfnisse, die die Degradation der Umwelt im Amazonas-Gebiet, in Indonesien und am Aral-See verursacht haben, sondern externe Kräfte.
Zu diesen externen Faktoren muss auch der Bevölkerungsdruck anderer Landesteile und Regionen gezählt werden. Beispielsweise ist die Degradation des Ordos Plateaus in Nordchina auf die Invasion von Migranten aus dem Süden zurückzuführen, orchestriert durch zentrale politische Organe.


Die Prozesse der Übernutzung und Degeneration könnten oftmals gar nicht von sich aus stattfinden, sondern werden erst durch staatliche Planungen und Subventionen ausgelöst. Hinzu kommen allerdings auch die Bedürfnisse und der außergewöhnlich hohe Verbrauch der Ballungsgebiete.

Da diese Siedlungszentren den größten Teil der Weltbevölkerung beherbergen, ist ihre Sogwirkung wahrscheinlich die stärkste umweltverändernde Kraft.

Es ist fraglich, ob die reziprok wirkenden Hauptursachen (extrem hohe Konsumption - ausbeuterische Extraktion) durch staatliche Institutionen kontrolliert werden können, weil diese als zentralistische Strukturen oft selber die Anreize zur Umweltzerstörung liefern.


Von außen kommende Kräfte sind wichtiger für regionale Entwicklungen als interne Kräfte - und wahrscheinlich selten in gutem Sinne!

Als Ursachen von Umweltdegradation werden genannt: Rohstoff-Extraktion und Überproduktion für externe Verbraucher, Bevölkerungsdruck von innen und durch Immigranten [UNU 1995].



Das globale Beziehungsgeflecht insbes. des Güteraustausches macht Regionen zu offenen Systemen und verwischt dabei die eigentlichen Einflussfaktoren. Die lokalen Akteure verlieren den Einfluss auf ihre Umwelt - gerade im positiven Sinne ...

Regionale Autonomie und Selbstversorgung wären ein möglicher Weg zur Beendigung der Akkumulationswirtschaft von der Peripherie in die Zentren, die gleichzeitig durch Migrationsbewegungen auch ein unangepasstes Bevölkerungswachstum erzeugt [Dobkowski/ Wallimann 1998].


Am raschesten nähern sich infolge dieses Beziehungsgeflechtes eher marginale Regionen einem kritischen Zustand, die labiler und weniger wohlhabend sind als die Bevölkerungszentren [UNU 1995]. Die Kräfte der Umweltzerstörung gehen von Zentren der Entwicklung und der Macht aus.
Eine globale Umweltkrise gefährdet besonders Regionen, die eine hohe Autonomie bei gleichzeitiger Abhängigkeit von lokalen Ressourcen pflegen. Regionen mit hohen Austauschraten insbesondere durch industrielle Weiterverarbeitung sind weniger gefährdet, wenn sie auch die Urheber der Krise sind.

Auf Handel mit regionalen Produkten spezialisierte Regionen werden durch schwankende Absatzmöglichkeiten (z.B. infolge von Konkurrenten) und die Preispolitik auf den Weltmärkten bedroht.

Andererseits sind Technologie-Agglomerationen infolge ihrer ökologischen Degradation durch die Risiken einer vollständigen Versorgungsabhängigkeit gefährdet; - insbesondere, wenn diese Versorgung nicht durch entsprechende Gegenleistungen sichergestellt werden kann, also durch industrielle Produktion statt durch fragwürdige Dienstleistungen wie die Finanzwirtschaft und eine repressive Verwaltung.

Die von den urbanen Zentren ausgehende Ausbeutung beeinträchtigt regelmäßig die Lebensverhältnisse und die Chancen der nur lokale Ressourcen nutzenden Menschen, wobei gleichzeitig eine gewaltsame Transformation zu technizistischen Lebensweisen stattfindet.



Die rasche Zunahme von 'Megacities' mit mehr als 20 Mio. Einwohnern wie Mexico City ist mit einem ständig wachsenden Risiko ihres plötzlichen Kollapses verbunden.

Die Konzentration eines großen Teils der Bevölkerung und des Wirtschaftspotentials des ganzen Staates auf das hydrologische Becken, in welchem Mexico City liegt, beruht auf den Steueraufkommen und vor allem den Resourcen des übrigen Landes und würde ohne diese kollabieren [UNU 1995]. Dabei verringert die immer noch anhaltende außergewöhnlich hohe Zuwanderung Wohlstand und Lebensqualität in der Hauptstadt Mexikos.

Die fortgeschrittene Gefährdung des ökologisch labilen Hochbeckens von Mexiko nähert sich rasch einem kritischen Zustand [UNU 1995]. Die Industrialisierung hat zur extremen Verschmutzung von Luft und Wasser geführt. Schon seit langem muss die tägliche Versorgung mit Wasser von weit her organisiert werden.



Wohlstand und Umweltzerstörung


Der Verdacht, dass Wohlstand fast immer gerade durch bewusst in Kauf genommene Umweltzerstörung erreicht wurde, wird im Allgemeinen vertuscht oder schöngeredet.

Lebenskonzepte und Regionen der Subsistenzwirtschaft werden durch formale kapitalistische und staatliche Rechtsverhältnisse (also durch Zentralismus) bedroht. Auch lokales Konkurrenzdenken führt zu einer Ideologie des überregionalen Kriegs um Ressourcen, die wiederum den starken militaristischen Staat verlangt - vorgeblich als Selbstschutz, in Wirklichkeit aber als repressive Machtentfaltung nach innen und außen.

Andererseits ist ein gesellschaftlicher Wohlstand anzustreben, der die Subsistenz der Gesellschaft und aller ihrer Mitglieder ermöglicht.

In diesem Zusammenhang hätten sich auch die Sozialwissenschaften einer neuen Aufgabe zu stellen - dem vorausplanenden Lebensschutz [Dobkowski/ Wallimann 1998].


Mit zunehmender Globalisierung haben räumlich immer weiter entfernte Gebiete die Nachteile eines räumlich oder personell konzentrierten Wohlstandes zu ertragen: einerseits durch Ausbeutung und andererseits in umgekehrter Richtung durch die Entsorgung von Abfällen und Giften oder Klimagasen.

Als Folge davon können sich regionale Umweltauswirkungen weit extremer entwickeln als globale oder überregionale Daten es ahnen lassen [UNU 1995].

Die Bedrohung des globalen Ökosystems durch den Klimawandel und bestimmte Stoffflüsse sollte nicht zur Vernachlässigung der speziellen Gefahren für besonders stark ausgebeutete oder belastete Regionen führen.



Quellenangaben


UNU: Regions at Risk - Comparisons of threatened environments. Tokyo, 1995.
-- R.E. Kasperson, J.X. Kasperson, B.L. Turner II, K. Dow, W.B. Meyer: Critical environmental regions - Concepts, distinctions, and issues
-- B.L. Turner II, J.X. Kasperson, R.E. Kasperson, K. Dow, W.B. Meyer: Comparisons and conclusions

Michael N. Dobkowski/ Isidor Wallimann (ed.s): The Coming Age of Scarcity - Preventing Mass Death and Genocide in the Twenty-first Century. Syracuse, 1998.
-- Michael N. Dobkowski/ Isidor Wallimann: The Coming Age of Scarcity - An Introduction.