Die Klassifikation der Blütenpflanzen (Angiospermae)


Die Klassische Systematik

Viele Jahrzehnte im Gebrauch war das System von Adolf Engler vom Ende des 19. Jh.s, das noch in einer zweiten Auflage erschien (A. Engler / K. Prantl: Die natürlichen Pflanzenfamilien; 2. Aufl. in 14 Bdn., 1923 ff).

In verkürzter Form als "Syllabus der Pflanzenfamilien, II. Band - Angiospermen" war diese systematische Klassifikation zuletzt 1964 von Hans Melchior in der 12. Aufl. bearbeitet worden. Auch der Syllabus scheint einer Zeit anzugegehören, als die Nomenklatur wichtiger war als ihr praktisches Verständnis.

Ein großer Teil der hier definierten systematischen Kriterien und taxonomischen Gruppen haben aber auch nach einem Jahrhundert noch Bestand. Ebenso behält das für die regionale Flora Deutschlands stark gekürzte System Otto Schmeils aus der Vorkriegszeit einige Gültigkeit.


Der Amerikaner Charles E. Bessey (1845 - 1915) vertrat bereits nachdrücklich die Idee einer natürlichen Verwandtschaft der bedecktsamigen Blütenpflanzen (Angiospermae). In der doppelten Befruchtung sah er das kennzeichnende Merkmal ihrer monophyletischen Abstammung (Spichiger et al. 2004).

Offenbar hatten sich an der Wende zum 20. Jh. auch in der Pflanzensystematik zwei konkurrierende Systeme entwickelt, die deutsche und die englisch-amerikanische Schule.
Möglicherweise wurden in der Nachkriegszeit auch bewusst Unterschiede zum Engler'schen System herausgearbeitet, was aber vielleicht eher damit zusammenhing, dass man sich im englischsprachigen Raum intensiver mit der Pflanzensystematik befasste als in Westdeutschland.
Immerhin wurde in der ehemaligen DDR mit dem "Urania Pflanzenreich" eine Pflanzen-Systematik ausgearbeitet, der ich persönlich auch heute noch mehr Vertrauen schenke als der "Angiosperm Phylogeny" - Webseite. Die zweite Auflage war auch im Westen zugänglich und eine überarbeitete Fassung wurde noch im Jahr 2000 veröffentlicht.


Die modernen klassischen Systeme beruhen vor allem auf den beiden Autoren Arthur Cronquist (1919 - 1992) vom 'New York Botanical Garden' und Rolf Dahlgren (1932 - 1987), der bis zu seinem vorzeitigen Unfalltod in Kopenhagen wirkte.

Von ihnen waren zuletzt die Werke erschienen:
- Cronquist: Evolution and Classification of Flowering Plants, 1988.
- Dahlgren/ Clifford/ Yeo: The Families of Monocotyledons, 1985.


Rolf Dahlgren und Robert F. Thorne berücksichtigten schon stärker biochemische Daten; ihre Angiospermen-Systeme sollen sich auch am besten mit den neuesten molekulargenetischen Untersuchungen decken (Spichiger et al. 2004).

Den letzten Stand der klassischen Systematik unter besonderer Berücksichtigung chemischer Inhaltsstoffe gibt auch das deutschsprachige Werk von Frohne/ Jensen 1998 wieder.


Die modernen klassischen Systeme werden zur Zeit noch auf der Webseite "Biologie online" der Uni Hamburg konserviert und können dort eingesehen werden.



Die "Angiosperm Phylogeny Group"

1998 bis 2009 wurden drei Versionen eines auf stammesgeschichtlicher Verwandtschaft beruhenden Systems der "Angiosperm Phylogeny Group (APG)" vorgestellt, von welchen die abschließende von 2009 ("APG III") als verbindlich gilt.
An dem Projekt waren Universitäten in den USA und in Stockholm beteiligt sowie botanische Gärten, darunter die Kew Gardens in London.

Im Zusammenhang mit dem Werk der "Angiosperm Phylogeny Group" wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Grundlage ihrer phylogenetischen Klassifikationen vor allem molekulargenetische Untersuchungen bildeten. Doch wird bei der online-Präsentation dieses neuen "natürlichen Systems" auf diesen Zusammenhang außer durch Literaturhinweise selten eingegangen.


Das ziemlich unfertig und unübersichtlich wirkende System wurde etwa 2009 endgültig von der Fachwelt akzeptiert.

Als online-Veröffentlichung "Angiosperm Phylogeny - Website (APweb)" vermittelte es zwar immer einen Eindruck von Kompetenz, doch zu keinem Zeitpunkt den Eindruck der Verlässlichkeit.
Denn hier tritt uns Fachidiotismus in reinster Form - als extrem gefährliche Geisteskrankheit - entgegen; die Beschäftigung mit den Erscheinungsformen der Pflanzenwelt auf diesem Niveau wirkt ziemlich abschreckend!

Der Autor Peter F. Stevens von der Universität und dem Botanischen Garten von Missouri in St. Louis liefert in seiner Einführung oft sehr disperse Gedankengänge, die nachvollziehen er dem Leser nicht zumuten sollte (Stevens 2012).
Anscheinend kann man sich das leisten, weil es keine Konkurrenz gebe: die "Angiosperm Phylogeny Group" nimmt hier für sich in Anspruch, erstmals "(a) comprehensive phylogeny-based treatment of angiosperms" vollbracht zu haben.


Aus seinem Text geht hervor, dass der Autor die Charakterisierung sämtlicher Taxa dieser Webseite selbst erstellt hat - eine Arbeit, die einen Einzelnen einfach überfordern musste!

Stevens behauptet, er habe sogar die Struktur des neuen phylogenetischen Baumes selber erstellt. - Hinzu kommt seine sehr ausführliche Abhandlung der Merkmale ("Characters") der Angiospermen-Taxa, ein Glossar und vor allem eine unendliche Literatur-Liste. Alle diese ensetzlich umfangreichen Schriftwerke müsste Stevens ebenfalls gelesen haben, wenn er sie bei der Ausarbeitung dieser Phylogenie verarbeitet hat; das ist ziemlich unwahrscheinlich ...

Die seit dem Mittelalter erscheinenden Klassifikationen der gesamten Pflanzenwelt waren seltsamerweise alle das Werk von Einzelkämpfern. Der fast industrielle Aufwand, der für die moderne Kladistik betrieben werden muss, sollte dieses Einzelkämpfertum eigentlich unmöglich machen.

Taxonomie und Phylogenie konnten allerdings auch seit jeher ziemlich willkürlich erfolgen, weil ja kaum jemand dem akademischen Diskurs der beteiligten Gelehrten folgen konnte - dieser Zustand wird sich auch mit dem APG-System nicht ändern.

Angesichts der Unübersichtlichkeit und Unverständlichkeit und damit Unbrauchbarkeit dieser neuen Klassifikation der Blütenpflanzen muss sich erneut jedermann aufgefordert fühlen, sich selber ein neues, anschaulicheres System zu basteln.


Was das APweb nicht schafft, nämlich eine neue phylogenetische und kladistische Systematik der interessierten Öffentlichkeit näher zu bringen, das vermag das franko-schweizerische Autorenteam Spichiger/ V. Savolainen/ M. Figeat/ D. Jeanmonod mit seinem Buch "Systematic Botany of Flowering Plants", Enfield, 2004.

Die Autoren stellen offenbar den mitteleuropäischen Zweig der "Angiosperm Phylogeny Group" dar. In sehr ansprechender Weise werden neben dem Grundgerüst des Systems, allerdings erst in der zweiten Version (APG II), auch 113 der wichtigsten Pflanzenfamilien mit Photos, Blütendiagrammen etc. dargestellt.


Ein vereinfachtes und dem Vernehmen nach regelmäßig aktualisiertes Schaubild der APG-Phylogenie im Poster-Format von Theodor Cole und Hartmut Hilger wird auch von der Uni Berlin online zur Verfügung gestellt.


Bei oberflächlicher Betrachtung scheint im APG-System eine deutliche Diskrepanz zwischen der hypothetischen Phylogenie und den fehlenden realen Merkmalen zu bestehen. Darüber hinaus fehlen aber auch die offengelegten und möglichst auch stichhaltigen Argumente für phylogenetische Beziehungen.

Immerhin kann P. F. Stevens konstatieren, dass das APG-System den Konsens der Fachwelt erreicht habe; kritiklos wurde es auch von der Wikipedia übernommen.

Stevens räumt aber ein, dass dank des wachsenden genetischen bzw. phylogenetischen Wissens die Zahl möglicher Klassifikationssysteme rapide steige (Stevens 2012).


Die kladistischen und molekular-analytischen Untersuchungen, die dem neuen System zugrunde liegen sollen, scheinen vor allem dem Einsatz bzw. dem Testen von Computerprogrammen gedient zu haben.
Hier scheint es sogar eine spezielle Produktreihe zu geben, die sogenannten "Computational phylogenetics": "The goal is to assemble a phylogenetic tree representing a hypothesis about the evolutionary ancestry of a set of genes, species, or other taxa." (Wikipedia-Artikel "Computational phylogenetics", Stand: November 2012).





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Zur Systematik der Blütenpflanzen


1. Systematik als Taxonomie und Phylogenie

1.1. Neue Methoden

1.2. Parataxonomie

1.3. Ordnungs-
kategorien der Pflanzensystematik

1.4. Kladistik



2. Die Klassifikation der Blütenpflanzen (Angiospermae)

2.1. Die klassische Systematik

2.2. Die "Angiosperm Phylogeny Group"



3. Merkmals-Klassifikation

3.1. Äußere Merkmale

3.2. Klassische Merkmals-Systeme

3.3. Chemosystematik

3.4. Ökologische Verhältnisse



4. Evolution, Phylogenese, Verwandtschaft

4.1. Progressionen

4.2. Verwandtschaft - Beziehungen zwischen den Taxa



5. Fragwürdiger Output der APG-Kladistik

5.1. Beispiele



6. Quellenangaben





Angiospermen-Merkmale





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