Agrarressourcen



Ursprünge der Agrarkultur im Westlichen Mittelmeerraum



Der Südwesten Europas
Die Vegetation Südfrankreichs als Degradationsstufe
Quellenangaben




Der Südwesten Europas

Das in Frankreich den Pyrenäen vorgelagerte, immer eisfrei gebliebene Becken der Garonne (Aquitanien) war ein Zentrum altsteinzeitlicher Kultur.

Luigi Luca Cavalli-Sforza hält es für "sehr wahrscheinlich", dass die Basken in direkter genetischer und kultureller Beziehung stehen zu den ersten Cro-Magnon-Menschen, die das südliche Europa während der Eiszeiten besiedelten und ihre kulturellen Spuren in den bekannten Höhlenmalereien von Altamira, Lascaux, Niaux usw. hinterließen [Cavalli-Sforza 2001].

Aktuelle Forschungen bringen die Basken allerdings eher mit der neolithischen Expansion und Einwanderung in Verbindung.

Schon seit dem Spät-Paläolithikum bestand rund um das Mittelmeer ein Feuer-geprägtes Vegetations-Mosaik und nach den Kaltzeiten kam es zur Ausbreitung einer Kulturlandschaft infolge dichter Besiedlung [Neff/ Frankenberg 1995].


Die Bandkeramik-Kultur, die sich im Westen Ungarns entwickelt haben soll, expandierte als Träger der landwirtschaftlichen Innovation im fortgeschrittenen 6. Jt.v.Chr. bis ins Mittelrhein-Gebiet und traf hier auf die frühneolithische Bevölkerung der 'La Hoguette - Kultur' [Parzinger 2014].

Diese Kultur mit einer mobilen Lebensweise ohne feste Wohnplätze und Häuser soll im südlichen Frankreich entstanden sein und auf der Anzucht von Schafen und Ziegen beruht haben.
Interessant daran wäre auch, dass hier La Hoguette - Populationen mit spätmesolithischen Lebensweisen, die beispielsweise den Bumerang zur Jagd benutzten, bereits eine Tierhaltung vor dem Pflanzenbau übernommen hätten. Spätere Abspaltungen kannten auch eine einfache Keramik und den Getreidebau.

In der Darstellung von H.-N. Le Houérou ist die Haltung von Schafen und Ziegen auch im Vorderen Orient schon vor dem Pflanzenbau aufgekommen, und zwar seit ca. 10000 Jahren. Im westlichen Mittelmeerraum entwickelten sich Ackerbau und Viehzucht erst, als in Vorderasien schon die Metallzeiten herrschten. [Le Houérou 1980]


Am Anfang der neolithischen Kulturentwicklung am europäischen Mittelmeer steht die 'Cardial- oder Impressokultur' mit typischer, einfacher Keramik. Die rohe Tonware wurde typischerweise mit Abdrücken der Herzmuschel Cardium edule verziert, später auch mit Abdruck-Ornamenten anderer Gegenstände.

Diese mediterrane Frühkultur verbreitete sich seit dem 7. vorchristlichen Jahrtausend ausgehend von der östlichen Adriaküste "rund um das westliche Mittelmeer (inkl. Nordafrika)", und zwar nur in unmittelbarer Küstennähe, sowie "auf den Inseln Korsika, Sardinien, Sizilien und Malta (aber nicht auf den Balearen)" [Wikipedia 2015].

Daraus ist zu schließen, dass die frühen Neolithiker sich auch durch besondere seemännische Fähigkeiten auszeichneten.


Im Unterschied zu den Ursprungs- und Expansionsgebieten des Neolithikums in Kleinasien und in Südosteuropa fehlt im westlichen Mittelmeerraum die Kunstform der "anthropomorphen Figurinen" [Parzinger 2014].

Das Hinterland des westlichen Mittelmeerraums wurde am Ende des 6. Jt.v.Chr. von dieser Kultur erreicht. Auch an der nordafrikanischen Küste sei die Cardial-Kultur seit dem 6. Jt.v.Chr. mit dem Anbau von Weizen-Arten, Gerste und Saubohnen und der Schafzucht nachzuweisen.


"Scherben mit Cardium-Abdrücken" wurden auch in Portugal gefunden [Wikipedia 2015].
Doch wurden an der Atlantikküste auch die mesolithischen Traditionen einer saisonalen Muschelhaufen-Subsistenz weitergeführt, besonders in den Mündungsdeltas der Flüsse [Parzinger 2014].


Im nordspanischen Kantabrien bestand seit "dem frühen 5. Jahrtausend v.Chr. eine Mischwirtschaft aus Wildbeutertum und Viehzucht" [Parzinger 2014].
Möglicherweise sind die neolithischen (und teilweise noch metallzeitlichen) Felsbilder des iberischen Raumes mit narrativer Darstellung von "Jagd und Kampf" eine Fortführung der eiszeitlichen Tradition kultischer Felsmalereien.


Schon im 5. - 4. Jt.v.Chr. entwickelten sich im Süden und an der Ostküste Spaniens eigenständige komplexe Siedlungsformen - "von mehreren Mauerringen umgebene Zentralorte (Los Milares, Zambujal)" [Parzinger 2014]. - Die burgartigen Befestigungen, megalithischen Grabanlagen, und die südiberische Kupferverarbeitung des Spätneolithikums lassen auf eine gesellschaftliche Hierarchisierung schließen.


Der Süden Iberiens war auch ein Zentrum der 'Megalith-Kultur', die offenbar eine vollständig eigenständige Entwicklung Westeuropas war, lange vor den ägyptischen Pyramiden.



Die Vegetation Südfrankreichs als Degradationsstufe

Nach Le Houérou 1980 herrschte im Norden des westlichen Mittelmeerraumes vor 6000 Jahren ein kühleres und feuchteres Klima; die Ernährung hätte demnach überwiegend auf den Wildtieren des Waldes beruht.

Dann sei mit Einsetzen eines trockeneren Klimas um 2000 v. Chr. der Laubbaum Quercus pubescens von der immergrünen Eiche Quercus ilex verdrängt und das Wild selten geworden. Nun wurde die Ernährung durch Schaf- und Ziegenzucht gesichert.
Schon konstituierte sich eine Transhumance zwischen dem Languedoc und den Cevennen über große Viehtriebe ('drailles') - auf Kosten des Waldes wurden Weidegebiete erschlossen. [Le Houérou 1980]
Inzwischen sieht man aber nicht in einem Klimawandel, sondern in der Degradation durch die damalige Bevölkerung die Ursache für die Veränderung der Vegetation.


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J. Wainwright macht folgende Datierungen des prähistorischen Südfrankreichs:

7000 - 4000 v.Chr. - Frühneolithikum (Cardial + Epicardial)
4000 - 2900 v.Chr. - Mittelneolithikum (Chasséen)
2900 - 2200 v.Chr. - Spätneolithikum (Véraza)
2500 - 2000 v.Chr. - Kupferzeit (Fontbouïsse + Bell Baker)
2000 - 1600 v.Chr. - Frühe Bronzezeit
1600 - 1250 v.Chr. - Mittlere Bronzezeit

[Wainwright 1994]


Der Küstenraum westlich der Rhône sollte als eigenständiger Entwicklungsraum der frühen Kulturen gesehen werden, weil das Durchbruchstal der Rhône und vor allem ihr ausgedehntes Mündungsdelta als Sumpflandschaft ein Ausbreitungshindernis für Bauern ebenso wie für nomadische Viehhalter vom Typ des vorderasiatischen Trockenklimas bildete. Nutzpflanzen-Innovationen hätten dann übers Meer kommen müssen. Für Sammler und Jäger stellte diese Flusslandschaft aber zweifellos ein Paradies dar.


Auch in Südfrankreich sind die ersten landwirtschaftlichen Kulturen für die Cardial-Zeit nachweisbar, aber ebenso noch eine Vielzahl durch Sammeln genutzter Wildpflanzen (darunter Eicheln, Haselnüsse, Hagebutten, Kornelkirschen, Weintrauben) [Marinval 1992].

Für den Hérault (Peiro Signado) soll Getreideanbau für die zweite Hälfte des 6. Jt.v.Chr. nachgewiesen sein; auch im Aude gab es eine Zunahme der Gräserpollen seit Ende des 6. Jt.v.Chr. [Wainwright 1994].


Emmer, fr. 'amidonnier' (Triticum dicoccum) und Einkorn, fr. 'engrais' (Tr. monococcum) scheinen erst im Epicardial, also gegen Ende des Frühneolithikums, als Innovation nach Frankreich und an die westlichen Mittelmeerküsten gelangt zu sein.

Ein tyrrhenischer Ursprung dieser Nutzpflanzen-Innovationen liegt nahe, aber auch ein Kontakt mit der danubischen Kultur könnte Einfluss gehabt haben - über eine Kulturstufe der Bandkeramik mit bespelztem Getreide ('civilisation rubanée') im Juragebiet [Marinval 1992]. Umgekehrt sind die bandkeramischen Fundorte des Rheinlandes durch das Vorkommen des Schlafmohnes (Papaver somniferum) gekennzeichnet, der aus dem Mittelmeerraum stammt.

Die Getreidearten könnten auch von den iberischen und nordafrikanischen Küsten stammen, doch wahrscheinlich entwickelte sich gerade der Languedoc zu einem Entwicklungszentrum des Getreideanbaus. Ihn zeichnete vor den meisten anderen frühgeschichtlichen Siedlungsgebieten aus, dass hier schon die an kühleres Klima angepasste Weichweizen-Hybride angebaut wurde. [Marinval 1992]


Während des Chasséen oder Mittelneolithikums soll eine starke Zunahme der Populationen besonders im Gebiet von Montpellier nachweisbar sein.
Wahrscheinlich dienten hier die Ränder landwirtschaftlich genutzter Bassins als bevorzugte Siedlungsplätze. Die dadurch ausgelöste Erosion der Hänge ist in extremen Maße durch die einen See aufstauenden Sedimente bei St. Guilhen-le-Désert sichtbar [Wainwright 1994].

Umweltdegradation habe eher lokal durch die jeweiligen Populationen stattgefunden, nicht durch Klimaänderungen.

Der Languedoc bietet eine Fallstudie verstärkter Erosion in der Frühen Bronzezeit um 2000 - 1600 v.Chr., die zu einem kulturellen Kollaps führte. Die erodierte Landschaft der Gegenwart sei nur durch das Zusammentreffen extremer Niederschlagsereignisse mit einem völlig der Pflanzendecke entblößten Gelände erklärlich.

Die Frühe Bronzezeit wird im Languedoc mit einem deutlichen Rückgang der archäologischen Nachweise in Verbindung gebracht; das könnte mit einem durch Landschaftsdegradation ausgelösten Bevölkerungsrückgang erklärt werden, aber auch mit dem Verlust der archäologischen Stätten durch Erosion.

Auch in Venetien soll es zu einer bronzezeitlichen Erosionsphase und einem anschließenden Bevölkerungsrückgang gekommen sein.

[Wainwright 1994]

Vielleicht ist die Landschaftsdegradation seit der Bronzezeit allgemein weniger auf die agrarische Nutzung als auf den erhöhten Holzverbrauch für die Herstellung von Metallgegenständen zurückzuführen.


Seit der südfranzösischen Kupferzeit führte die Rodung der flachen Tallagen und Beweidung der Hanglagen zu einer bedeutenden Boden-Degradation [Neff/ Frankenberg 1995].

Von großer Bedeutung war dabei die selektiv wirkende Brennholzentnahme (inbegriffen der frühen Verhüttung von Metallen) durch Quercus ilex - Niederwald - Bewirtschaftung.

Schon im 4. Jahrtausend v. Chr. (im Chasséen) habe es bei Nîmes eine Bevölkerungsdichte von ca. 20 Einw./ km² bei einem Brennholzbedarf pro Kopf von ca. 500 kg/a gegeben (folglich 10 t/km²/a).

Die anthropogene Beeinflussung der Vegetation war so groß, dass eine Klimaerwärmung als Ursache für den Rückzug des Flaumeichen-Waldes (Qu. pubescens) wenig wahrscheinlich ist. Im ostmediterranen Raum wurde zu diesem Zeitpunkt bereits Eisen verhüttet.

Die an der französischen Mittelmeerküste und an vielen anderen Orten als typisch empfundene mediterrane Flora ist also oft in Wirklichkeit der Indikator einer durch Land- und Viehwirtschaft verursachten Degradation der natürlichen Pflanzendecke.

[Neff/ Frankenberg 1995]



Quellenangaben


H.-N. Le Houérou: L' impact de l' homme et de ses animaux sur la forêt méditerranéenne; 1re partie (in: foret mediteranéenne tome 2 [1980], no.1) [-> online verfügbar (inkl. Download) ]

Philippe Marinval: Approche carpologique de la néolithisation du sud de la France (in: Centre National de la Recherche Scientifique: Préhistoire de l'Agriculture - Nouvelle Approches expérimentales et ethnographiques. Paris, 1992.)

J. Wainwright: Anthropogenic Factors in the Degradation of Semi-arid Regions - A Prehistoric Case Study in Southern France (in: A.C. Millington/ K. Pye (ed.s): Environmental Change in Drylands - Biogeographical and Geomorphological Perspectives. Chichester, 1994.)

Christophe Neff/ Peter Frankenberg: Zur Vegetationsdynamik im mediterranen Südfrankreich (Erdkunde Bd.49 [1995], S.232) [->  online verfügbar (inkl. Download) ]

Luigi Luca Cavalli-Sforza: Gene, Völker und Sprachen. München, 2001 (Taschenbuch-Ausgabe).

Hermann Parzinger: Die Kinder des Prometheus - Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift. München, 2014.

Wikipedia-Artikel "Cardial- oder Impressokultur", Stand: 31. Dezember 2015.