Lebende Systeme


Alle Lebensformen verhalten sich im Gegensatz zu den physikalischen Erscheinungen sinnvoll und zielgerichtet. Daher gehöre zur Biologie die methodische Frage nach Sinn und Zweck der einzelnen Lebenserscheinungen. [Theimer 1985]


Auch ein modernes Umfeld spiegelt oft nichts anderes als primitivste Lebensweisen wieder - die des Fressens und Gefressenwerdens!

Der eigentliche evolutionäre Ausweg aus diesem für die Weiterentwicklung verhängnisvollen tierische Fraßdruck ist erst den autotrophen Lebewesen, vor allem den Höheren Pflanzen, gelungen, die selbst niemanden fressen ...


Pflanzlichen Organismen entwickelten neben der Energiegewinnung aus der Sonne (Autotrophie) weitere Mechanismen zur Perfektion, die sie nicht nur vor einer raschen destruktiven Metabolisierung durch heterotrophe Organismen, die Energie aus dem Verzehr anderer Lebewesen gewinnen, schützen, sondern die ihnen auch bei der Ausbreitung helfen - und zwar durch Regeneration aus Organen durch Segmentierung.

Zwar haben auch Niedere Tiere ähnliche Mechanismen entwickelt, doch höher entwickelte Heterotrophe und der Mensch büßten diese Fähigkeit der Segmentierung und Regeneration wieder ein. Sie entwickelten im Gegensatz dazu extreme, geradezu solipsistische Fähigkeiten eines individualisierten Selbsterhalts, die trotz ihrer oft destruktiven Wirkung als Intelligenz definiert wurden.
Im Gegensatz zur pflanzlichen Gleichberechtigung aller Organe wird der tierische Organismus durch ein zentralisiertes Nervensystem koordiniert.


Bei den einzelnen Lebenserscheinungen wird die Wirkung nicht allein durch eine Ursache erzwungen, sondern es gibt vom Zweck diktierte Wechselwirkungen mit Hilfe biologischer Informationsprozesse. Das gilt aber nicht ausschließlich für Organismen mit Gehirn. Information ist also keinesfalls etwas, dass nur von Organismen mit einem zentralen Nervensystem hergestellt werden kann.

Doch nicht nur Information, sondern auch Organisation, komplexe Systeme und Kybernetik, also Regelung gelten als Grundeigenschaften lebender Systeme [Theimer 1985]; Steuerungsziel seien Selbsterhaltung und Reproduktion.



Ein interessantes Phänomen ist, dass die höheren Autotrophen, also Pflanzen zu einem viel höheren Anteil aus Kohlenstoff-Verbindungen bestehen. Zwar werden ihre Lebensprozesse ebenfalls durch Aminosäuren, also Eiweißstoffe gesteuert, die höheren Heterotrophen bestehen aber bis auf ihr Skelett fast gänzlich aus Eiweißverbindungen, die allerdings zu ungefähr 50 % ebenfalls aus Kohlenstoff zusammengesetzt sind.
Daraus könnte man folgern, dass Heterotrophe mit Hilfe komplexer Makromoleküle einen höheren Informationsgehalt akkumulieren.

Die Autotrophen haben es hingegen verstanden, einen Teil ihrer Kohlenstoff-Nahrung in Stützmaterialien (Holz) aus Cellulose umzuwandeln, während die Heterotrophen dazu Fremdstoffe (vor allem Calcium) verwenden. Seit Urzeiten haben heterotrophe Meeresorganismen (Foraminiferen, Stromatophoren, Korallen) Außenskelette erzeugt.

Die Knochen höherer Organismen bestehen zu einem Teil aus dem Eiweißstoff Kollagen und zu zwei Teilen aus in das Kollagen eingelagerten Mineralstoffen.




Heterotrophie und Soziale Lebensweise


Vielleicht war es Saurier-Intelligenz - die Beschränkung auf eine oder wenige Lebensfunktionen wie eben die Stoffakkumulation als Selbstbehauptung gegen Konkurrenz jeder Art -, die letztlich zum Riesenwuchs der höheren Organismen geführt hat. Allerdings spielten dabei auch frühere Klimabedingungen und eine damals noch unerschlossene Umwelt - die des Festlandes - eine Rolle.

Das heterotrophe Grundprinzip hat bei einigen Heterotrophen auch zu einem Riesenwuchs des Ego geführt. Dieser tierische Individualismus ist auch ein Symptom der Verletzlichkeit, ebenso wie die Morphologie oder die Physiologie.

Doch fast alle Tiere haben als Gegenstrategie zu ihrer Individualität in der Natur soziale Lebensweisen angenommen.

Ebenso wie die Dynamik des pflanzlichen Organismus sind die tierischen Sozialwesen Äußerungen biologischer Intelligenz.


Über den Vergleich mit einem Insektenstaat folgt in diesem Zusammenhang oft eine Gleichsetzung von Technologie und staatlicher Organisation mit einem solchen Sozialwesen. Eine solche biologistische Gleichsetzung wird sofort fehlerhaft, wenn der Technologie oder Technokratie die sozialen Eigenschaften fehlen, aber auch die pflanzliche Dynamik und Autarkie, und wenn sie in erster Linie individualistischen oder solipsistischen Zwecken dienen.

Zwar dient das Sozialwesen der Bienen vordergründig ebenfalls nur einem solipsistischen Zweck, nämlich der Weitergabe der genetischen Information der Königin ad ultimo, dabei ist es jedoch wenigstens vollständig in eine pflanzlich-autotrophe Umwelt integriert und hat diese durch Coevolution sogar bereichert.


Die menschlichen Gesellschaften stellten dagegen fast nirgendwo auf der Welt eine Bereicherung für ihre Umwelt dar. Ihre Infrastrukturen perpetuieren das Erbe primitivster Heterotrophie.
Die alten heterotrophen Wesen - also die technisch verstärkte Menschheit - wollen das Neue - die Autotrophen - vertilgen, anscheinend können sie nicht anders!

Ihre Schöpfungen - Infrastruktur, Staat, Technologie - sind Ausgeburten einer Heterotrophie, die nicht nur Pflanzenwelt und Natur, sondern oft auch Menschen verschlingt.


Und die modernen menschlichen Gesellschaften potenzieren einen zentralen Aspekt heterotropher Organismen zu einem globalen Problem - sie sind unhygienisch.
Die Ausscheidungen der Heterotrophie machen einen längeren Aufenthalt am selben Ort normalerweise unmöglich, während Pflanzen praktisch alle ihre Stoffwechselprodukte zu nützlichen Stoffen umsetzen.

Dieser hygienische Effekt der grünen Pflanzen und ihre damit in direkter Beziehung stehende hohe und geordnete Produktivität sind auf einen gewissermaßen megastabilen Stoffwechsel zurückzuführen, der auf der evolutionären Anpassung an ein permanent gleichbleibendes Energie-und Nährstoffangebot (Sonnenstrahlung und Atmosphäre) beruht. Nur ihre Abhängigkeit vom Wasser ist fast ebensogroß wie bei Heterotrophen.




Quellenangabe


Walter Theimer: Was ist Wissenschaft? Tübingen, 1985.