Die Neolithisierung, die den Schritt von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaft darstellen sollte, neben der Industrialisierung als Hauptereignis der Transformation der menschlichen Lebensaspekte darzustellen, ist nicht ganz richtig.
Schon die früheren Techniken der Menschheit, insbesondere die Herstellung von Werkzeugen und Kleidung, dienten der Erhöhung menschlicher Arbeitsleistung und Lebensqualität.
Der eigentlich einschneidende Aspekt der Neolithisierung war lediglich, dass sie eine grundlegende Transformation der menschlichen Lebensräume verursachte! Dabei war der Eingriff in den Ursprungsgebieten der Neolithisierung, einer semi-arid mediterranen Offenlandschaft, weniger folgenschwer als die Rodungen der Waldlandschaften.
Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass die Neolithisierung mit der nacheiszeitlichen Klimaveränderung in diesem Gebiet zusammenfiel. Eine Aridisierung des Klimas soll dann in überregionalem Maßstab zu einer Ausbreitung der Grassteppen und damit des domestizierten Arteninventars geführt haben.
Einige Jahrtausende später wurde evident, dass die damals eingeleiteten Transformationen auch selbst zu weiteren Klimaerwärmungen führen.
Größere und globale Transformationen der Ökosysteme werden erst nach einem längeren Prozess manifest, waren aber durchaus schon im vorhinein absehbar. In Indien ist man noch vor wenigen Jahrzehnten Stämmen begegnet, die die Rodung von Wäldern zum Zweck des Pflugbaus als zu große oder destruktive Transformation ihrer Umwelt ablehnten.
Mit gutem Recht fürchteten die Naturvölker vor allem die Zerstörung ihrer Jagdgründe!
Aus solchen Gründen ist die Theorie einer 'Neolithischen Revolution' zum Fortschritt kaum aufrechtzuerhalten. Sie wird wohl fälschlich auch mit einer allgemeinen Entwicklung der Menschheit insbesondere in demografischer Hinsicht in Verbindung gebracht.
Es kann sich nicht um einen monokausalen Prozess gehandelt haben, auch örtlich variable ökologische und soziale Faktoren müssen miteinbezogen werden. Dann wäre Neolithisierung als Umbruch "auf breiter Front" zu verstehen, ausgelöst beispielsweise durch die nacheiszeitliche Klimaerwärmung, durch Bevölkerungswachstum und Wissenserweiterung [Lambrecht/ Tjaden/ Tjaden-Steinhauer 1998], vor allem aber auch durch Zwang.
Und die Entwicklung zu komplexeren Gesellschaften fand in Wirklichkeit außerhalb des Neolithikums und auf Grund anderer Techniken statt und wurde dann einseitig auf die Entstehung des Pflanzenbaus und der Tierhaltung zurückgeführt. Sogar die großen Waldrodungen dürften zu einem großen Teil auf technischen Bedarf und nicht auf landwirtschaftliche Nutzungen zurückzuführen sein.
Diese technologischen Entwicklungen könnten die Errungenschaften der Neolithisierung selbst wieder zunichte machen.
Eine von Horst Nachtigall gebrauchte Formulierung der "Neolithischen Evolution" ist deshalb von Belang, weil weder eine Revolution der Ressourcenproduktivität noch eine der menschlichen Kondition stattgefunden haben kann, sondern nur eine kontinuierliche und bis heute stattfindende Evolution der Nutzungsweisen.
Eine Vorstufe zur Erfindung des Pflanzenbaus war die Spezialisierung auf bestimmte, reichlich verfügbare Nutzpflanzen, die die Subsistenz ihrer 'Erntevölker' gewährleisten konnten.
Es folgte die Zwischenstufe der 'Feldbeuterei' von noch teilweise nomadisierenden Populationen, indem vielerorts Nutzpflanzen gefördert oder gepflanzt wurden, um einen besseren Wildbeuteertrag sicherzustellen.
Beispielsweise wurden im Afrika neuerer Zeit Schößlinge der aus dem tropischen Asien mitgebrachten Banane in der weiteren Umgebung gesteckt, um einen permanenten "Beuteertrag" zu erzielen. [Nachtigall 1972]
Viele Nutzpflanzen, die den Erntevölkern als Subsistenzgrundlage dienten, wurden in der späteren landwirtschaftlichen Entwicklung auch wieder vergessen: archaische Nussarten, die Eicheln Amerikas und Eurasiens zuzüglich der Esskastanien, die Samen der Seerose und die stärkehaltigen Rhizome einer ganzen Reihe von Wasserpflanzen.
Die meisten Erntevölker hatten gar keinen Bedarf, sich auf den Feldbau umzustellen, was bei Baumfrüchten und Wasserpflanzen wie dem Reis ja auch gar nicht ohne weiteres möglich ist.
Ebenso soll sich der feldmäßige Anbau von Gras-Arten nach einem Klimaoptimum im Nahen Osten erst infolge erneuter Aridisierung ergeben haben.
Hier entstand zunächst die Entwicklungsstufe der 'mesolithischen Erntekulturen' (11. Jt.v.Chr.) mit einer "reichhaltigen Reibsteinindustrie" [Strahm 2007] auf Grundlage der allgemein verbreiteten Wildgräser.
Für dieses Umfeld ließe sich die Neolithisierung also durch Pflege, sowie Pflanzung oder Ansaat der schon vorher genutzten Gräser und Leguminosen bei Trockenheit und knapper werdenden Ressourcen rekonstruieren.
Die Entwicklung zur “Landwirtschaft” ist keine einmalige Erfindung:
I. Sie ist die Folge langfristiger symbiotischer Beziehungen zwischen Populationen und ihren pflanzlichen und tierischen Ressourcen.
II. Voraussetzung war die zufällige Selektion bestimmter Typen der genutzten Arten.
III. Die resultierenden Lebensgemeinschaften mit den größten Überschüssen wurden als kulturelle Modelle tradiert.
IV. Doch durch die früheren kulturellen Entwicklungen (versus Naturzustand und Naturressourcen) wurde der Handlungsspielraum späterer Generationen immer stärker eingeschränkt.
[nach: Benz 2000]
In dieser Beziehung stellt die Domestikation eine besonders gravierende Form der Transformation dar.
Domestikation wirkt sich nicht nur auf die Konstitution der Nutzorganismen aus, wobei das Problem der Degeneration übernutzter Arten im Raum steht, sondern auch auf die ihrer Züchter [Hughes 2001, ch.2].
Wenn nicht schon einige Insektenarten Domestikation betrieben hätten, könnte man die Domestikation als einen für die ursprünglichen Menschenformen schädlichen Prozess ansehen ...
Nach einigen Jahrtausenden Pflanzenbau und Tierhaltung macht aber vor allem die vollständige Transformation und Degeneration der Lebensräume Sorgen.
Der Typus der genutzten Lebensräume, Pflanzen und Tiere ist durch menschliches Einwirken vollständig verändert, also transformiert worden, und dies nicht zum besseren.
"The agricultural revolution may prove to be the greatest mistake that ever occurred in the biosphere." [Anne H. Ehrlich/ Paul R. Ehrlich: “Earth” (1987) zitiert in: Hughes 2001, ch.2]
Quellenangaben
Horst Nachtigall: Völkerkunde von Herodot bis Che Guevara - Naturvölker werden Entwicklungsvölker. Stuttgart, 1972.
Lars Lambrecht/ Karl Hermann Tjaden/ Margarete Tjaden-Steinhauer: Gesellschaft von Olduvai bis Uruk – Soziologische Exkursionen. Kassel, 1998.
Marion Benz: Die Neolithisierung im Vorderen Orient - Theorien, archäologische Daten und ein ethnologisches Modell. Berlin, 2000.
J. Donald Hughes: An environmental history of the world - Humankind's changing role in the community of life. London/ New York, 2001.
-- 2 Primal harmony
Christian Strahm: Jungsteinzeit - Ackerbauern und Viehzüchter (in: Der Brockhaus multimedial, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2007.)