Biome der Menschheit


Die Entwicklung der Hominiden in Ostafrika wird teilweise mit der Epoche des Quartärs in Verbindung gebracht. Dessen Beginn wird von Geologen aber erst auf 1,6 Mio. J.v.h. angesetzt, während sich die Australopithecus-Arten schon weit früher entwickelten.

Das Gebiet um den Tschadsee könnte ein zweites Entwicklungszentrum des Vormenschen gewesen sein; hierher sollen älteste menschenähnliche Fossilien stammen [Parzinger 2014, Kap.VII].


In den 50er Jahren wurde der Zusammenhang der Entwicklung des modernen Menschen und der Eiszeiten des Pleistozän, einem Äon der Knappheit im Vergleich zum jetzigen, nacheiszeitlichen Holozän hervorgehoben.


Während sich die ostasiatischen Frühmenschen besonders in Zwischeneiszeiten entwickelten, stammen die europäischen Fundstätten des Frühmenschen aus Kaltzeiten [Campbell 1987].

In dieser europäischen Umwelt hatte der Neandertaler als die "erste in engerem Sinne menschliche Spezies" (André Varagnac) sein Entwicklungszentrum [Varagnac 1960].


Es ist ein grundlegendes Problem der menschlichen Konstitution, ob deren Zustand allgemein auf eine Kultur von Großwildjägern oder eher von Pflanzensammlern zurückzuführen ist; vielleicht muss man in diesem Zusammenhang sogar von zwei Entwicklungslinien sprechen.

Dabei ist offenbar mehr aus dem Paläolithikum der kalten Klimabereiche des Nordens bekannt als aus anderen Regionen.

Je nach Klimazone müssen frühe Menschen ganz andere Nahrungsgrundlagen genutzt haben.

In den nördlichen Kältesteppen der Eiszeit kann es kaum eine Alternative zur Jagd oder zum Verzehr von Kadavern grasfressender Großtiere gegeben haben, aber es ist zweifelhaft, ob diese kleinen Populationen an der Kältegrenze relevant für die weitere Menschheitsentwicklung waren.


Der Gebrauch von Feuer und Werkzeugen als Kennzeichen der Menschheit hatte sich auf jeden Fall bereits in den afrikanischen Ursprungsräumen ergeben.

Trotzdem mag eine Notwendigkeit fortgeschrittener Technik ("Umweltbeherrschung") in neuen Lebensräumen (bei Kontakt mit neuen Arten, in anderen Klimaten) bestanden haben [Bosinski in: DIE ZEIT 2006].

Eine weitere einleuchtende Theorie wäre, dass die modernen Menschen als weit entwickelte Jäger nach dem Rückgang ihrer Beutetiere durch Überjagung gezwungen waren, je nach Klimazone Hackbauern oder Bewässerungsbauern zu werden.




Ursprungsbiom und Nahrungsangebot


Der Wandel der Diät des Menschen im Vergleich zu anderen Primaten stellt einen wichtigen Aspekt der menschlichen Konstitution dar.

Die Autoren Lambrecht/ Tjaden/ Tjaden-Steinhauer wollen die Subsistenz der frühen Hominiden auf die rezenten Subsistenzmethoden von Schimpansen reduzieren, beispielsweise auch beim Werkzeuggebrauch [Lambrecht et al. 1998].
Das macht die lange und verwickelte Reihe der Entwicklungsstufen deutlich, die zwischen den nahe verwandten Schimpansen und den modernen Menschen liegt.
Dabei ist außerdem zu bedenken, dass Vormenschen in einem ganz anderen Biom lebten als die heutigen Schimpansen.

Der Vegetarismus der in tropischen Wäldern entstandenen Primaten ist dort zweifellos die beste Anpassungsform!

Der Ursprung der menschlichen Gattung soll jedoch im Gegensatz zu dem des Schimpansen in der afrikanischen Savanne mit einer hoher Wildtier-Dichte liegen [Bosinski in: DIE ZEIT 2006].

Ein bemerkenswerter Faktor in dieser Umwelt war aber auch, dass die Vormenschen hier einer größeren Dichte von Raubtierarten ausgesetzt waren als es Schimpansen heute sind.

Was aber war ihre Subsistenzstrategie in dieser Umwelt? - Das Sammeln von Pflanzennahrung und Kleintieren?


Es gibt noch zwei weitere Primaten-Gattungen der afrikanischen Offenlandschaften, die Paviane (Papio) und die Dscheladas (Theropithecus).
Paviane entsprechen weitgehend der oben angedeuteten Subsistenzweise, sie fressen Gras, Samen und Knollen, zuweilen aber auch kleine Tiere. [Macdonald 2004]

Der Dschelada als weitere Primaten-Art, die die Ernährungsnische eines Trockenklimas nutzt, ist hingegen praktisch Vegetarier. Dscheladas fressen Gras und Wurzeln, die sie mit ihren Fingern ausgraben. [3sat 2018]
Sie sollen durch die Paviane in das Äthiopische Hochland als Rückzugsraum zurückgedrängt worden sein [Macdonald 2004].


Die Präferenz für Grassamen (Getreide) ist also im Erbe der Primaten angelegt und nicht erst eine kulturelle Errungenschaft des Menschen.


Mehrere Vormenschen-Arten der Frühzeit sollen, um nebeneinander existieren zu können, unterschiedliche Nahrungsarten genutzt haben [Leakey/ Lewin 1980].
Dabei geht es tatsächlich um den physiologisch bedeutsamen Schritt vom Pflanzen- zum Fleischfresser bei sehr nah verwandten Arten, der bei Säugetieren wohl seltener vorkommt als bei den Finkenvögeln, die Charles Darwin beobachtete. Doch wäre er bei Omnivorie weit weniger bedeutsam als er im Zusammenhang mit der Entwicklungsgeschichte der Menschheit oft dargestellt wird.


In der ostafrikanischen Olduvai-Schlucht wurde durch Flusssedimente eine Zeitspanne von "fast zwei Millionen Jahren" konserviert. Während dieser Epochen hat es in Olduvai kaum Klimaveränderungen gegeben - hier herrschte stets "ein semiarides Klima mit ausgeprägten Regenzeiten". [Lambrecht et al. 1998]

Die Frühmenschen lebten dort noch mit einer "altertümlichen Fauna" zusammen, die heute ausgestorben ist, und die sie (angeblich) mit einfachen Mitteln bejagten (bzw. nur ausschlachteten).


Selbst Homo habilis und erectus sollen im Rift Valley noch nebeneinander gelebt haben [3sat 2018].

Besonders der Homo erectus unternahm schon ausgedehnte Wanderungen und breitete sich über die altweltlichen Kontinente aus.

Fundplätze weisen ihn angeblich als Großwildjäger aus. Dadurch konnte er sich auch kühlere Klimagebiete erschließen, insbesondere das Kaukasus-Gebiet und das nördliche China.
Der H. erectus - Fund von Dmanisi in Georgien wird auf 1,6 Mio. Jahre taxiert.
[Mania in: DIE ZEIT 2006]


Aus der mittleren warmzeitlichen Schicht der Höhle von Choukoutien in Nordchina lassen sich Populationen des Homo erectus nachweisen, dessen Größe und Hirnvolumen im Vergleich zu seinem Vorgänger Homo habilis deutlich zugenommen hatte.

Das sei auf eine "gesellige, jagdorientierte Lebensweise" zurückzuführen verknüpft mit einer zunehmenden Fähigkeit zum Informationsaustausch und Werkzeugeinsatz [Campbell 1987].


Im Allgemeinen wird die Jagd bei Menschen als Kulturentwicklung dargestellt, während sie bei anderen Arten (Raubtieren) als biologisch bedingte Verhaltensweise angesehen werden soll.




Die Theorie vom Aasfresser


Es bestand sicher ein deutlicher Unterschied der Entwicklungsstufe zwischen dem halbtierischen Menschentyp des 'forager and scavenger', der Pflanzennahrung und Aas aufstöbert, wo er sie findet, und dem ‘hunter and gatherer’, der technisch vorbereitete Streifzüge unternimmt und teilweise sogar feste Wohnplätze hat.


Es erscheint um einiges wahrscheinlicher, dass Vor- und Frühmenschen Kadaver und die Beutereste der Raubtiere verwertet haben, als dass sie selber gejagt hätten. Diese Verhaltenweise könnte in Trockenperioden notwendig gewesen sein, wenn Pflanzennahrung knapp ist.
Galeriewälder konnten Fluchtmöglichkeiten gegenüber den Raubtieren bieten; offene Grasländer werden dagegen von Hyänen als den konkurrierenden Aasfressern beherrscht.
[Smith 1999]


Andererseits ist wieder bemerkenswert, dass Schimpansen und sogar Paviane Aas nicht anrühren [Leakey/ Lewin 1980].

Wahrscheinlich besitzen sie ebensowenig wie Menschen irgendeine Resistenz gegen fleischbesiedelnde Fäulnis-Bakterien [Wrangham 2009].


Voraussetzung einer Nutzung von Kadavern ebenso wie von Jagdwild muss nach R. Wrangham die Kenntnis des Feuers gewesen sein.


Nach Lewis Binford ("Bones, Ancient Men and Modern Myths", 1981) sei das Ausschlachten der von Raubtieren geschlagenen Kadaver und speziell das Gewinnen des Marks aus den Knochen mit Hilfe von Steinwerkzeugen ein wichtiger Schritt der Transformation zur Menschheit gewesen. Es fehlen nämlich die Nachweise von "Jagdgeräten". [Lambrecht et al. 1998]

Aber auch dieses Subsistenz-Konzept dürfte im Verhältnis zum pflanzlichen Nahrungsanteil von nur untergeordneter Bedeutung gewesen sein.

Nach Richard Potts ("Early Hominid Activities at Olduvai", 1988) stellten dagegen die Ausschlachtungsplätze den Lebensmittelpunkt der damaligen Hominiden dar.


Die Autoren Lambrecht/ Tjaden/ Tjaden-Steinhauer halten die Kadaver von Großtieren (Wisent und Pferd) auch im eiszeitlichen Kantabrien für die "Hauptquelle tierischer Nahrung" noch für die Schöpfer der Höhlenmalerei von Altamira.
Als Jagdwild spielten immerhin das Rotwild und die Capriden des Berglandes eine Rolle.
[Lambrecht et al. 1998]


Nach Auffassung Anderer (Marcel Locquin) beweisen die Höhlenmalereien Westeuropas, dass die Großtiere kultische Verehrung genossen; nur Rentiere wurden verzehrt, aber nicht abgebildet [Locquin 1995].




Gegarte Kost

[nach Richard Wrangham]


Ebenso wie möglicherweise das Fleischessen war auch das Sammeln (und Horten) von Pflanzennahrung, auf welches sich angeblich die Frauen der Menschheit spezialisierten, ein bedeutender Schritt der menschlichen Evolution.
Beide Verhaltensweisen stellen gleichzeitig Indizien für das Garen dieser Nahrungsmittel dar!


Die Anhänger der Theorie einer Menschheits-Evolution durch Fleischessen hätten eingeräumt, dass der gesamte Kauapparat des Menschen für den Verzehr rohen Fleisches eigentlich nicht geeignet sei.
Die im Vergleich zu anderen Primaten unterentwickelten Zähne, insbesondere die Molaren, seien eine Anpassung des Menschen an gekochte Nahrung, nicht an Fleischnahrung.
Schon das zurückgebildete Gebiss des Homo erectus im Vergleich zum Homo habilis deute auf Kochen als neue Variante der Ernährung hin. [Wrangham 2009]


Nach der 'cooking hypothesis' wird die aufnehmbare Energiemenge durch Kochen erhöht; daher sei das Kochen für den Menschen genauso wichtig wie der Wiederkäuermagen für bestimmte Tierarten.

Der menschliche Energiestoffwechsel hänge ursächlich mit der Verarbeitung durch Kochen zusammen, nicht mit dem Verzehr von Fleisch. Gekochte Pflanzennahrung erbringe denselben Energiegewinn wie gegartes Fleisch. [Wrangham 2009]


Die hohe Qualität gekochter Nahrung verkürze die Stillzeit und erhöht dadurch die Zahl der möglichen Geburten. Und eine energiereiche Nahrung fördert die Gehirn-Entwicklung während des kindlichen Wachstums.


All diese Argumente sind durchaus zu akzeptieren, schließen aber Rohkost als Nahrungsbestandteil nicht aus.

Es gibt eine unbewusste wie eine bewusste Präferenz besonders energiereicher Nahrung, etwa für Nüsse und Stärkeknollen, aber auch für Muscheln, Fisch und Fleisch, die teilweise nur gegart verzehrbar sind. Dadurch kam es dann zu einer bewussten Präferenz des Garens!

Bei der Rohkost bleibt nur die Frage: war sie ein bedeutender oder ein weniger bedeutender Nahrungsbestandteil?

Bruno Manser behauptete von den Penan, einem waldbewohnenden Naturvolk, dass ihre Hauptnahrung aus gekochtem Fleisch und gekochter Sagostärke besteht, dass sie aber auch gerne für Europäer ungenießbare Wildfrüchte äßen [Manser 2004].


Wrangham verweist jedoch darauf, dass eben gerade die wichtigste pflanzliche Zukost angesichts des verkleinerten Verdauungsapparates schon früher Menschenformen nicht roh verzehrt werden konnte - die Stärkenahrung.

Energiereiche pflanzliche Kost (Früchte) sei nirgendwo auf der Welt ständig verfügbar, sondern bestenfalls nur saisonal. Ständig verfügbare Pflanzenkost (Wurzelknollen) müsse dagegen durch Kochen leichter verdaulich gemacht werden.


Der Mensch habe keine Resistenz gegen die rohes Fleisch besiedelnde Bakterien entwickelt - "Wir sind eher Köche als Raubtiere." [Wrangham 2009]

Während das Bindegewebe im Fleisch sich beim Erhitzen auflöst, wird Muskelgewebe hierdurch zäher. Die ihre Verdauung erleichternde Denaturierung der Fleisch-Proteine kann auch durch Säure (normalerweise die in der Magenwand produzierte Salzsäure), durch Salzen und durch Trocknen erreicht werden [Wrangham 2009].




Quellenangaben


Omer C. Stuart: Fire as the First Great Force Employed by Man [in: W.L. Thomas (Ed.): Man's Role in Changing the Face of the Earth. Chicago, 1956.]

André Varagnac (Hg.): Der Mensch der Urzeit - 600000 Jahre Menschheitsgeschichte. Düsseldorf, 1960.

Richard Leakey/ Roger Lewin: Die Menschen vom See - Neueste Entdeckungen zur Vorgeschichte der Menschheit. München, 1980.

Bernard Campbell: Ökologie des Menschen - unsere Stellung in der Natur von der Vorzeit bis heute. Frankfurt/ Berlin, 1987. (Originalausgabe London, 1983.)

Marcel V. Locquin: Chronik der Vor- und Frühgeschichte. Frankfurt/ Leipzig, 1998 [französ. Originalausgabe 1995]. {... mit einer Menge Blödsinn; Locquin behauptet u.a., dass der Homo habilis schon vor 2,4 Mio. Jahren den Acker "bebaute" ...}

Lars Lambrecht/ Karl Hermann Tjaden/ Margarete Tjaden-Steinhauer: Gesellschaft von Olduvai bis Uruk - Soziologische Exkursionen. Kassel, 1998. {oft in der Qualität von Stilübungen}

Andrew B. Smith, Cape Town: Archaeology and evolution of hunters and gatherers (in: R. Lee/ R. Daly [ed.s]: The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers. 1999.)

Bruno Manser: Tagebücher aus dem Regenwald. 2004.

David Macdonald (Hg.): Die große Enzyklopädie der Säugetiere. Königswinter, 2004.

DIE ZEIT: Welt- und Kulturgeschichte Bd.1 - Anfänge der Menschheit und Ägypten. Hamburg/ Mannheim, 2006.

Richard Wrangham: Feuer fangen - Wie uns das Kochen zum Menschen machte. München, 2009.

Hermann Parzinger: Die Kinder des Prometheus - Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift. München, 2014.

"Rift Valley - Der Große Graben". Fernsehdokumentation 3sat, Anfang 2018.