Das Modell des demografischen Übergangs ('Demographic Transition Model' [Dilworth 1998]) beinhaltet die Annahme, dass in bestimmten Gesellschaften eine zahlreiche Nachkommenschaft als Altersvorsorge und damit als sinnvoll gilt. Die Institution der Großfamilie und ihr starker Bevölkerungszuwachs wurden in vielen Traditionen auch als Einflussfaktor und militärischer Machtfaktor eingesetzt, was in Dilworth's Darstellung gar nicht berücksichtigt wird.


Die Prognose dieses Modells, dass statt der Bevölkerungszunahme auf Familien-Ebene ein möglichst hohes Wirtschaftswachstum die Altersvorsorge ersetzen könnte und deshalb zu einem Rückgang der Geburtenrate führen werde, ist ein Trugschluss [Dilworth 1998].

Eine Mindestvoraussetzung hierfür wären beispielsweise soziale Verhaltensmuster und sozial weitsichtige Gesellschaftsmodelle.

Die Skrupellosigkeit bei der Ressourcenbeschaffung scheint jedoch jeden Geburtenrückgang zu verhindern.


In den Tropen waren bereits in der Mitte des 20. Jh.s alle kultivierbaren Regionen dicht besiedelt (mit > 300 Einw./ km²) [Gourou 1956].

Pierre Gourou schrieb 1956, die Dichte dieser Bevölkerung sei das Produkt geringer Ansprüche bei geringer Produktivität gewesen. Eine Erhöhung der Produktivität durch innovative oder moderne Technologie müsste daher durch starkes Bevölkerungswachstum zum Exodus eines Teils dieser Landbevölkerung führen.

Gerade die ehemalige Dritte Welt hat erst nach Kontakt mit der Technologie der Moderne eine starke Zunahme des Bevölkerungswachstums erlebt.

In den Industrieländern kann die Nachkriegszeit als Beispiel dafür dienen, dass Wohlstand und positive Zukunftserwartungen zu Bevölkerungswachstum führen und nicht zu einem Rückgang der Geburten.


Im Fall einer Bevölkerungszunahme durch günstige Bedingungen haben sich gesellschaftliche Institutionen daher um die Verteilung des Wohlstands und um einen vorausschauenden (oder nachhaltigen) Schutz der Ressourcen zu kümmern.

Das 'Demographic Transition Model' ist auch deshalb unhaltbar, weil moderne Technologien und hohe Lebensstandards durch ihren Ressourcenverbrauch ebensolche Probleme schaffen wie die Übervölkerung.




Hyperexponentielles Wachstum der Weltbevölkerung ist erst das Charakteristikum der Neuzeit und besonders der letzten Jahrzehnte geworden.

Diese Tatsache hängt zweifellos auch mit der technologischen Intensivierung zusammen. Da diese aber nicht auf menschliche Arbeit zurückzuführen ist, wird Ester Boserup nicht bestätigt.

Erst die von moderner Technologie erbrachte immense Arbeitsleistung ermöglichte ein mit Mikroorganismen vergleichbares, logarithmisches Bevölkerungswachstum, das allerdings gleichzeitig durch eine starke Erhöhung der Lebenserwartung verstärkt wird. Die demografischen Fakten der Bevölkerungsexplosion bestätigen daher eher  Thomas Robert Malthus , der annahm, dass das Bevölkerungswachstum nicht vernunftgesteuert, sondern triebgesteuert sei.

In starker biologistischer Vereinfachung könnte man formulieren, dass Technologie lediglich ein Mittel zur verbesserten Reproduktion der Menschheit ist.


Doch in Industriegesellschaften wird die Arbeitsleistung fast ausschließlich durch Maschinen intensiviert, dadurch wird sie zu einem finanztechnischen Faktor und steht nicht mehr in einem bloßen Lebenszusammenhang.

In modernen Gesellschaften stellen Kinder daher womöglich ein größeres Problem dar als in traditionellen. - Wegen der niedrigen Lebenserwartung waren Geburten in archaischen Gesellschaften eine notwendige Kompensation der demografischen Verluste. Die Fortschritte der Medizin und der Sozialordnung machen diese demografische Kompensation weniger notwendig, während die Kosten der neuen Technologien die Lebenshaltung auch von Kindern verteuern.


Die Bevölkerungs-Stagnation besonders reicher und industrialisierter Gesellschaften ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die Menschen in direkter Konkurrenz zu einer ressourcenaufwändigen Technologie stehen.

Die Investitionen, die für die Technologie getätigt werden müssen, sind im Vergleich zu den Investitionen in Kinder zu hoch, aber im gesellschaftlichen Kontext eine Notwendigkeit.

Dabei ist die soziale Konkurrenz, die von der Technologie ausgeht, besonders bedrückend: sie raubt den Menschen zuerst die Arbeitsplätze und zuletzt den Selbstwert; das Individuum hat sich der Technologie unterzuordnen.


Folglich ist der individuelle Selbstwert und der Wert eines Menschenlebens in vorgeblich reichen Industriegesellschaften in gewisser Hinsicht geringer als in kinderreichen Agrargesellschaften.

Dafür erhöhen viele Technologien aber den Lebenswert durch Comfort.




Es hat in der Menschheitsgeschichte sicher genug Beispiele gegeben, dass einerseits die Armut hohe Populationen dezimiert hat, andererseits die bewusste Entscheidung zu weniger Kindern eine Erhöhung des Wohlstandes erzielt hat.

Außerdem besteht das Risiko der Gewaltzunahme durch zu dichte verarmte Bevölkerungen, sogar das Risiko institutionalisierter Gewalt unter dem Druck dieser Bevölkerungen, also das Risiko des Völkermords.

In bevölkerungsreichen Gesellschaften kann sich ein hoher Anteil Jugendlicher und anderer Unterprivilegierter genauso wie die Macht kleiner Minderheiten sowohl gegen Individuen als auch den gesamten sozialen Konsens richten.


Die "Sitten" der Abtreibung und des Infantizids gab es nicht erst als vorindustrielle, sondern wahrscheinlich bereits als frühgeschichtliche Gewaltanwendung [Dilworth 1998].

Diese Methoden waren im Vergleich zu den Genozid-Praktiken der industrialisierten Staatsgewalt des 20. Jh.s eher harmlos. Technologie kann also auch als Instrument zur Vernichtung Anderer eingesetzt werden.

Zu den aus der Geschichte bekannten schlimmsten Krisen zählen die Eroberung oder Unterdückung mit Hilfe bestimmter Technologien. Das ist übrigens die Konstellation, aus der das Weltbild entstand, aktive feindliche Übernahme und Ausbeutung zu vorbildlichen Verhaltensweisen zu erklären.

Die Frage nach der Gewalt stellt sich dann gar nicht mehr. Es ist also ziemlich abwegig, russischen Bauern und Bolschewiki ihre Gewalttätigkeit vorzuwerfen, den Oligarchen und Autokraten, die mehr Ressourcen verbrauchen als die gesamte übrige Bevölkerung, aber nicht.
Hier ist nicht Übervölkerung das Problem, sondern die Technologie der Staatsökonomie.




Quellenangaben


Pierre Gourou: The Quality of Land Use of Tropical Cultivators (in: W.L. Thomas (ed.): Man's Role in Changing the Face of the Earth. Chicago, 1956.)

Ester Boserup: The conditions of agricultural growth - The economics of agrarian change under population pressure. London, 1965 (Nachdruck 1993).

Craig Dilworth, Uppsala: The Vicious Circle Principle - A Contribution to the Theory of Population and Development (in: Dobkowski/ Wallimann (ed.s): The Coming Age of Scarcity - Preventing Mass Death and Genocide in the Twenty-first Century. Syracuse, 1998.)

Rüdiger Wittig/ Bruno Streit: Ökologie. Stuttgart, 2004.

Tony Waters: The Persistence of Subsistence Agriculture. Lanham, 2007.