Egalitarismus oder Matriarchat?


Ägypten scheint das einzige Zentrum kultureller Diffusion einer prä-patriarchalischen Zivilisation gewesen zu sein.

Angeblich wurde die Kriegerkultur des nahöstlichen Asiens der Agrarkultur Ägyptens aufgezwungen. Bis zur Invasion der Araber wurde die Verwandtschaft und die Thronfolge nach der mütterlichen Linie bestimmt; man benannte sich also nach seiner Mutter. [Griffith 2001]


Doch stellten die Tonfigurinen von Çatal Öyük in Anatolien, die als Zeugnis eines Matriarchats galten, nur zu einem sehr kleinen Teil weibliche Personen dar und dokumentieren allenfalls egalitäre Geschlechterrollen, aber kein Matriarchat [Parzinger 2014; Kap.III].


Das Patriarchat ist der Kern aller Ideologien; diese unterscheiden sich nur im Grad ihrer Ablehnung des Patriarchats.


In regenreichen und ökologisch intakten Gebieten kann eine Frau die Familie angeblich nahezu allein ernähren durch Sammeln, Gartenbau, Anzucht von Tieren und Handel auf lokalen Märkten. In unproduktiven Landschaften büßt sie ihre dominante Rolle als Beschafferin der Grundversorgung ein.

In einer lebensfeindlichen Umwelt fehlt die Idee einer gütigen 'Mutter Natur', die Naturkräfte wirken sich eher als tödliche Bedrohung aus [Griffith 2001].

In den frühesten autokratischen Staaten des Vorderen Orients wurde der großflächige und arbeitsaufwändige Feldbau mit Bewässerung, Pflug und Zugtieren Arbeitsfeld der Männer. Es erscheint mir aber fraglich, ob dieser Prozess auf wüstenhafte Umweltbedingungen zurückzuführen ist.



Wegen ihres Produktions- bzw. Arbeitspotentials wurde auch den Frauen niedriger sozialer Schichten weltweit ein Wert zugeschrieben, was sich in der Sitte des Brautpreises äußerte.
Doch in den höheren Kasten Indiens mussten die Brautfamilien der Familie des Bräutigams eine Mitgift zahlen, weil die Frauen aus Prestigegründen in einem unproduktiven Zustand gehalten wurden.

Der klimatisch begünstigte Süden Indiens ermöglichte Frauen, eine höhere soziale Stellung einzunehmen, auch matrilineare Ehebräuche waren gebräuchlich. Der Süden gelangte erst im Mittelalter unter den Einfluss des muslimisch eroberten Nordens. Im ökologisch intakten alten Indien soll den Frauen noch Grundbesitz und die Staatsgewalt zugänglich gewesen sein, und manche hatten mehrere Männer.

[Griffith 2001]



Patriarchalische Gewalt


Einige offensichtlich faschistoid-antisemitische Theorien führen die Ideologie der Gewaltherrschaft über die Natur, die Ressourcen und die arbeitende Bevölkerung ausschließlich auf die Umweltbedingungen des Vorderen Orients zurück. Dabei war diese Weltsicht bei den Völkern des Nordens mindestens ebenso weit entwickelt.
Auslöser von Gewalt ist kein bestimmtes Klima, sondern materielle Gier oder die sich von einer bestimmten Bevölkerungsdichte an in allen Weltgegenden einstellende Notlage.

Seltsamerweise wurde die Wüstenreligion des Nahen Ostens auch zur Religion des Westens: "'Western science and economics' presumed that the planet is a dead resource, and that only the human community matters." [Brian Griffith]


Speziell auch die bewaffneten Angriffe von Reiterkriegern seit etwa 2000 v.Chr. (Hyksos in Ägypten, Kassiten in Mesopotamien) werden in einen Zusammenhang mit einer vorangehenden Aridisierung des Klimas gebracht. Dies habe auch zu dem Umschwung von lebensbejahenden Fruchtbarkeitskulten zu jenseitsorientierten Himmelskulten (auch mit Fixierung auf Astronomie und Astrologie) geführt [Griffith 2001].


Die Neigung zum Kriegführen kann jedoch auch durch andere Gründe geweckt werden, vielleicht sogar einfach durch eine Überlegenheit der Mittel der Kriegführung (Reittiere).

Nach Marija Gimbutas hatte die Ausplünderung der neolithischen Bauern Europas durch Steppenkrieger bereits um 4300 v.Chr. (erste Kurganwelle) begonnen - also vor der erneuten mit Trockenheit verbundenen Klimaverschlechterung.


Jahrtausende später vollzog sich in China ein ähnlicher Prozess: Die Hirtennomaden im trocken-kalten Norden sollen in Hungerjahren die Bauern geplündert haben (- ob es unter diesen Bedingungen dort überhaupt etwas zu plündern gegeben hat?). Als staatliche Gegenmaßnahmen wurden dort Soldaten stationiert, die sich ebenfalls auf Kosten der Bauern ernähren mussten (- ob sich die Soldaten nicht viel lieber vom Vieh der Nomaden ernährt hätten?).

Die nördlichen Steppennomaden hatten angeblich das Problem, dass ihre Produkte in China kein großes Interesse fanden; aus diesem Grunde sei das Kriegshandwerk zum Erpressen von Tribut zu ihrer bevorzugten Lebensweise geworden.
[Griffith 2001]


Bei arabischen Beduinen (und afrikanischen Tierhaltern) galt Raub als lebensnotwendige und ehrenvolle Aufgabe, ebenso der Schutz ihrer Frauen vor anderen Räubern; diese wurden (jedenfalls nach außen hin) zu einer völlig untergeordneten Größe.
Die gefährliche Tätigkeit des Kriegs um territoriale Ressourcen war den Männern vorbehalten, weil für die Kinderaufzucht Frauen unentbehrlich blieben. [Griffith 2001]


Es wird also häufig eine angebliche geschlechterbezogene Verschiebung von der weiblichen Naturnutzung auf die Ausbeutung von Tieren und Menschen durch männliche territoriale Kontrolle beschworen.

Militärherrschaft wurde vielerorts zur eigentlichen Staatsideologie. Diesem territorialen Kontrollzwang liegt also als ziemlich primitives Verhaltensmuster der Viehdiebstahl zugrunde.


Im ptolemäischen Ägypten und in Karthago behielten die Staatslenker zeitweise 50 % der Ernten für die Unterhaltung ihrer Armeen ein [Griffith 2001].
Doch versuchten die Staaten des afrikanischen Orients eigentlich nur, ein militärisches Gleichgewicht zu den Griechen und Römern herzustellen, die nichts anderes im Sinn hatten, als sie zu versklaven oder vor Ort zu kolonisieren.



Territoriale Hegemonie wird zu Landbesitz


Es gab schon unter Stammesvölkern die Strategie der Expansion - die jungen Männer wurden statt zur Brandrodung zur Eroberung benachbarter Stämme herangezogen, damit dann deren Mitgliedern die ehrlose Investition in Arbeit aufgebürdet werden konnte.

Der koloniale Einfluss Europas brachte die Variante, dass Sklaven oder Arbeitskraft nicht geraubt, sondern gekauft werden konnten. Die Kolonialherrschaft führte aber auch das Konzept individuellen Landbesitzes anstelle des Stammesbesitzes ein.

Frei zugängliches Land verschwindet allerdings bereits auf der Stufe der Sammler und Jäger.

Stammesland hatte vornehmlich die Funktion der Lebensgrundlage des Stammes, und wurde deshalb Außenstehenden und Ausgestoßenen vorenthalten.

Einzelfamilien behielten die Rechte an Rodungsflächen, bis deren Brachliegen ein gewisses Maß überschritt; wenn sie die Rodungsflächen an andere Familien verliehen, konnten sie ihre Rechte behalten.

[Boserup 1965]


Auch Ester Boserup glaubt, dass Bauern außerhalb des Waldlandes von eindringenden Stämmen ('intruding tribes') unterworfen wurden, feudalen Kasten, die zumeist als Viehhalter identifiziert werden, und die von den Tributleistungen (Steuern) der Bauern lebten.

Diese feudalistischen Fremdherrscher würden die traditionellen Nutzungsrechte der bäuerlichen Sippen erst dann einschränken, wenn Land und Tributzahlungen knapp werden.


Daraus kann man die allgemeine Schlussfolgerung ziehen, dass mit zunehmender Bevölkerungsdichte und Verknappung verfügbaren Landes eine Klasse von Landbesitzern entsteht, die die früheren Landrechte der breiten Bevölkerung annulliert.
England sei ein typisches Beispiel dafür, dass Feudalherren ('land lords') zu Großgrundbesitzern wurden, die die Bauern in die Abhängigkeit von Pachtverhältnissen brachten. Im Vergleich dazu waren die Rechte der Grundherren traditioneller Gesellschaften weniger repressiv.
[Boserup 1965; ch.9]


Im traditionellen Denken wurden Landrechte noch direkt mit der Kultivierung oder Nutzung dieses Landes verknüpft. Die Abstraktion des Besitzes von Land und der daraus gezogenen Zinsen und Renten führt zwangsläufig zur Vernachlässigung oder Verdrängung des Engagements in seine Kultur.

Traditionelle Gewohnheitsrechte, die allerdings auch durch demografischen Druck pervertiert werden, können durch modernistische Besitzrechte untergraben und aufgehoben werden.


Die muslimischen Eroberer Indiens hatten mit ihrem Militärpersonal die neue Klasse der Landbesitzer ('zamindar') geschaffen, die die Bevölkerung als ihre rechtmäßige Ressource ansahen. Offenbar akzeptierten auch die britischen Kolonialherren diese Feudalherren als ihre natürlichen Geistesverwandten und übertrugen ihnen die Aufgabe der Steuereintreibung.

Nehru hat immerhin das ausbeuterische Zamindar-System aufgehoben und Teile des Landes an diejenigen verteilt, die es bearbeiteten.
Dadurch schob sich ein neuer Mittelstand zwischen Feudalherren und Besitzlose, der allerdings viel von der Ausbeutermentalität der Feudalherrschaft beibehielt: für ihn zählen die Einkünfte, weniger die langfristige Qualität des Landes. [Griffith 2001]



Quellenangaben


Ester Boserup: The conditions of agricultural growth - The economics of agrarian change under population pressure. London, 1965 (Nachdruck 1993).

Brian Griffith: The Gardens of Their Dreams - Desertification and Culture in World History. Halifax/ London/ New York, 2001.

Hermann Parzinger: Die Kinder des Prometheus - Eine Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift. München, 2014.