Hochwasser am Mittelrhein
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Hochwasser als Technikfolge
Die Ursache für die häufigen Überschwemmungen am Rhein wird teilweise eher in Gewässerausbau und Bodenversiegelung gesehen als in einer Klimaänderung. Aber die Überschwemmungen in Ostdeutschland mit seinen noch ziemlich naturnahen Flüssen widersprechen dem. Als eigentliche Ursache der zunehmenden Hochwasser-Frequenz ist eine Klimaänderung anzusehen, die es nach Auffassung der Fürsprecher einer noch stärker technisierten Umwelt gar nicht geben dürfte.
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Gewässerausbau |
"1817-1876 wurde unter der Leitung von Johann Gottfried Tulla die Rheinkorrektion durchgeführt. ... In sechs Jahrzehnten wurden insgesamt 60 000 Hektar Fläche trocken gelegt, 2200 Inseln beseitigt und der Oberrhein um etwa 80 Kilometer verkürzt." [Robin Wood Magazin 2002 Heft 1] Schon ein Gutachten der Oberbaudeputation in Berlin verwies darauf, daß dem preußischen Rhein insgesamt durch das Zusammentreffen der Hochwasserspitzen des Rheins mit denen seiner Nebenflüsse höhere Flutwellen als bisher zugeführt würden.
Noch gravierender als diese Korrektion des Flussbettes im 19. Jh. waren die Baumaßnahmen des 20. Jh.s mit dem Ziel der Gewinnung von Wasserkraft: der Bau des Rhein-Seitenkanals auf der französischen Seite der Grenze nach dem Ersten Weltkrieg und der Bau von knapp einem Dutzend Staustufen am Oberrhein nach dem Zweiten Weltkrieg. Der moderne totale Gewässerausbau beschleunigt die Geschwindigkeit der Hochwasserwelle und erschwert damit Schutzmaßnahmen der Unterlieger. 'Jahrhunderthochwasser' treten in immer kürzeren Abständen auf. "Während der Rhein von 1880 bis 1977 bei Karlsruhe lediglich viermal den Pegelstand acht Meter erreichte, übertraf er diese Marke in den sechzehn folgenden Jahren bereits zehnmal." [Wolfgang Blum 1994]
Die Betonierung des Oberrheins bis Iffezheim zwischen 1955 und 1977 beschleunigte die Hochwasserwelle zwischen Basel und Karlsruhe von 64 auf 23 Std. und erhöhte das Risiko von Extremhochwassern bei den Unterliegern um das vierfache. Vor 1955 waren die Hochwasserwellen der Nebenflüsse schneller als die des Rheines - heute trifft die Rheinwelle mit den Hochwasserwellen der Nebenflüsse zusammen; dementsprechend erhöhen sich Abflüsse und Pegelstände. [Hubertus Oelmann 1997] Das lässt darauf schließen, dass zweckgebundene Staustufen (für Schiffahrt und Wasserkraft) der Gewalt eines Hochwassers nichts entgegensetzen können.
Stauanlage der Mosel, Schleuse Koblenz
Besonders schlimm wird es, wenn die Nebenflüsse ebenfalls ausgebaut werden. Insbesondere die Ausbaumaßnahmen der Mosel führen zu einer Beschleunigung und Erhöhung von Hochwasserwellen, die sich auf die Unterlieger am Rhein auswirken. Vielleicht mag mancher Wasserbauer gehofft haben, durch die Beschleunigung des Hochwasser-Abflusses der Mosel fließe dieser der Hochwasserwelle des Rheins davon. Anhand der Pegelmarken lässt sich aber nachprüfen, dass sich eine solche Hoffnung in der Realität nicht erfüllen kann. Zu groß ist der Beitrag, den die Niederschläge im Einzugsgebiet der Mosel an einem Rhein-Hochwasser leisten; von den 12000 m³/s , die bei Hochwasser an der holländischen Grenze ankommen, stammen 4000 m³/s aus der Mosel-Mündung [CHR-KHR: Hydrologisches Längsprofil des Rheins]. Der Mosel-Ausbau führt mit der Beschleunigung seiner Hochwasserwelle regelmäßig auch zur Erhöhung des Scheitelabflusses des Rheins. Verstärkend treten an der Mosel die sich verändernden Klimabedingungen hinzu.
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Verlust der Überflutungsflächen |
Als eigentliche Ursache für den beschleunigten Hochwasser-Abfluss ist nicht einmal der Ausbau des Gewässerbettes anzusprechen, sondern der Verlust der Überflutungsflächen, der Retentionsräume und Auen; ihr Verlust hat überregionale Auswirkungen auf das Hochwasser-Regime. Ein lokaler Hochwasserschutz auf Kosten von Überschwemmungsflächen wird daher zu überregionalen Hochwasser-Schäden führen. Dämme und Anschüttungen mit dem Ziel der Ausweitung von Siedlungsflächen mögen zwar einen derartigen Schutz gewähren, verursachen aber eine Verschärfung des Risikos bei den Unterliegern. Die Begrenzung der weiteren Ausdehnung von Nutz- und Siedlungsflächen in Gewässernähe und der Schutz von Überflutungsflächen bzw. Retentionsräumen sind unbedingt notwendig für den Erhalt der bestehenden baulichen Strukturen.
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Neuwied als Beispiel |
Neuwied wurde als Neustadt zwecks Handelstätigkeit und zwecks
Abschöpfung der Rheinzölle von dem Fürsten von Wied in eine
Sumpflandschaft an der Wied-Mündung gebaut. Daher war Neuwied extrem
hochwassergefährdet, bis ein Damm von 7,5 km Länge errichtet wurde. Als Hochwasserschutz wurde ein Deich mit Tonkern, vor der Innenstadt Steinwerk ausgeführt. Die Anlage soll eine Überflutungshöhe von 4 m abhalten, 9 m über dem normalen Wasserstand. (Das kann man auf der Webseite der Stadt Neuwied erfahren.) Doch ist es möglicherweise nach Fertigstellung des Schutzdammes für Neuwied im Jahre 1931 dann im Nachbarort Leutesdorf zu einer Verschärfung der Hochwassersituation gekommen.
Im Hintergrund jenseits des Rheins das Neuwieder Ufer und links im Bild die Kirche des Nachbarortes Irlich.
Ich weiß nicht, ob es übertrieben ist, zu behaupten, dem Rhein seien 85 % seiner natürlichen Überflutungsflächen genommen worden, aber 75 % sind es bestimmt, wobei man auch die Verhältnisse in den Niederlanden erwägen sollte. Hierzu gibt es einige Zahlen [Heinz Engel 1997]:
Die Mosel wurde 1964 bis Lothringen schiffbar gemacht, ihr
Nebenfluss Saar erst 1989; der Ausbau der Mosel zur Schiffahrtsstraße
erfolgte mit Hilfe zahlreicher Staustufen und Schleusen und einer
künstlichen Fassung für die Schiffahrt an ihrer Mündung bei Koblenz.
Mosel-Schleuse in Koblenz
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Allgemeine Umweltpolitik |
Die Maßnahmen des Gewässerausbaus hatten ursprünglich selber das Ziel, Überschwemmungen zu vermeiden, gerade auch die Tulla-Rektifikationen. Hierbei hatte die Eintiefung der Flusssohle, die allein schon durch Begradigung und Beschleunigung des Abflusses erreicht wird, die Absenkung des Grundwassers zur Folge.
Bei allen Schutz- und Baumaßnahmen in der Gewässeraue ist zu beachten, dass sie sich ohne Ausgleichs- oder Gegenmaßnahmen nachteilig für die Unterlieger auswirken. Als Rhein-Anwohner muss ich mir daher folgende Fragen stellen: Hier geht es nicht um höhere Versicherungspolicen, sondern um Schadenersatzansprüche!
Die Einrichtung von Technologien hat für diejenigen, die sie nicht bezahlen müssen, den Vorteil, dass sie rückgebaut werden können bzw. nach einiger Zeit dem natürlichen Verfall preisgegeben sind. Dieser Satz gilt auch für den als nachrangige Verkehrs-Infrastruktur herabgestuften Rhein, seine Nebenflüsse und die zu ihnen gehörigen Talauen. Ich fürchte aber, dass es eher zu einer weiteren Verwahrlosung der kleinen Siedlungen an Mittelrhein und Mosel kommen wird und nicht zu einem Rückbau der Technologie. - Der Uferbereich dürfte statt dessen vollständig dem Verkehr (Bundesbahn, B 9 und natürlich der Schifffahrt) geopfert werden, ein Vorgang, der uns auch fernab von allen Gewässern geläufig ist.
Auch die Flächenversiegelung weit entfernt von den betroffenen Flüssen beschleunigt den Abfluss der sich verstärkenden Niederschläge und stellt damit einen zusätzlichen neuzeitlichen Hochwasser-Faktor dar. Hinzu kommt noch der Verlust der Speicherkapazität der Böden um bis zu 60 % durch Verlust der Vegetationsdecke und unsachgemäße Anbaumethoden [Heinz Engel 1997].
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20.10.2011 St. Th. Hahn; Korrektur (Bildunterschrift) 21.12.2012.
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