Der Zustand des Ökosystems


Schon am Ende des 18. Jahrhunderts erfolgte ein planmäßiger Ausbau des Niederrheins durch Friedrich den Großen. Die Korrektion des Oberrheins durch Tulla im 18. Jahrhundert diente auch der Festlegung einer Grenzlinie zu Frankreich. Der bedeutendste Bauabschnitt war der Durchstich bei Speyer. Die Korrektion verkürzte den Lauf im Ausbaugebiet um 23 %. Das stärkere Gefälle führte zu einer starken Tiefenerosion und zur Abspülung von Inseln und Kiesbänken. Die Altarme standen zunächst noch in Verbindung mit dem Fluss, verlandeten aber bald, weil sie nicht mehr durch die Strömung ausgeräumt wurden.

Zu diesem Zeitpunkt war das Rheintal noch dünn besiedelt und daher auch nicht durch Siedlungen, Verkehr und Industrien belastet. Die Korrektionen hatten möglicherweise geringere Auswirkungen als die stofflichen Eingriffe des 20. Jahrhunderts. Toxische Wirkungen und die Beeinträchtigung der Selbstreinigungskraft wurden besonders durch Einleitung von Chloridsalz- und Kalisalz-Abwässern hervorgerufen. Aktuelle Immissionsquellen findet man etwa bei Leverkusen und Duisburg-Rheinhausen. Industriell verschmutzte Zuflüsse wie der Main stellen eine permanente Belastung dar. Im 20. Jh. kam es mehrmals zu Fischsterben, teilweise verstärkt durch Sauerstoffmangel wie in den Niedrigwasser-Jahren 1949 und 1971.

Der Bau von Staustufen veränderte den Hoch- und Oberrhein besonders schwerwiegend und verursachte ebenfalls Tiefenerosion. "Frankreich verfügte durch den Versailler Vertrag von 1919 über die alleinigen Rechte der Energienutzung am Oberrhein ... (zit. Tittizer/ Krebs)" Als Zubringer für die nötigen Wassermengen erfolgte seit 1932 der Bau des 'Grand Canal d'Alsace', seit 1948 mit Hilfe des Marshall-Planes. Diese Konstruktion entzieht dem Strom einen Großteil seines Wassers.

Ein weiteres Problem stellt die durchgehende Befestigung der Ufer dar; sie verhindert die Wiederansiedlung von Biber, Otter, der Fischfauna und vieler für die Fauna wichtiger Vegetationsformen. Die Beseitigung der Anlandungen, Kies- und Sandbänke macht die Brut verschiedener Vogelarten und die Vermehrung kieslaichender Wanderfische unmöglich. Die Zerstörung der Auen hat auch die natürliche Nährstoffquelle (Detritus) für die höheren aquatischen Biozönosen vernichtet.

Die Ausbaumaßnahmen und die Industrialisierung führten seit Mitte des 19. Jahrhunderts zum Niedergang der Fischerei. Hauptursachen waren der Verlust der Laichplätze (auch durch den Wellengang der großen Motorschiffe), Eintrag kommunaler, landwirtschaftlicher und industrieller Abwässer, und die frühere Überfischung besonders in Holland.

Vielleicht am schwerwiegendsten ist, dass durch Verlust intakter Lebensräume auch die Selbstreinigungskraft des Flusses weitgehend verloren gegangen ist. Dabei ist zu beachten, dass der Rhein keineswegs nur noch als Verkehrsweg dienen muss, sondern zum jetzigen Zeitpunkt und in Zukunft auch als Trinkwasserquelle. Die Belastung der Nordsee durch Gifte und Nährstoffe gefährdet nach dem Erlöschen der Süßwasser-Fischerei auch die Ressourcen der Nordsee-Fischerei.

Politische Administration und Wähler müssen sich entscheiden, ob sie den Rhein als Manövriermasse der Großindustrie betrachten wollen, die durch Gesetze bestenfalls vor extremen zusätzlichen Belastungen geschützt wird, oder ob sie die Reaktivierung des Ökosystems und naturnähere Zustände anstreben.


Die Lebensformen



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