Systematik als Taxonomie und Phylogenie (Forts.)


Ordnungskategorien der Pflanzensystematik

Eine der wichtigsten Aufgaben der speziellen Botanik und Pflanzensystematik ist, dass alle Informationen über ein Taxon in Monografien zusammengestellt werden.
Sichere Informationen zu reellen Taxa sind von grundlegender Bedeutung; sie sind wichtiger als ihre Weiterverarbeitung zu den Hypothesen einer entwicklungsgeschichtlichen (phylogenetischen) Systematik.


Wahrscheinlich haben Pflanzenkundler zuerst die Besonderheiten der einzelnen Pflanzen bemerkt und dokumentiert, dann erst Ähnlichkeiten zwischen diesen, die es erlaubten, Klassifikationen zu erstellen. Es ist folglich eine Streitfrage, ob Taxa wirklich von Anfang an dazu gedient haben oder erst neuerdings dazu dienen sollen, eine phylogenetische Verwandtschaft wiederzuspiegeln.

Die Konzepte der Familie und der Gattung wurden am Ende des 17. Jh.s von Pierre Magnol und Joseph Pitton de Tournefort eingeführt (Spichiger et al. 2004).


Die schon erwähnte Zerschlagung der formellen Taxa oberhalb der Ordnung wirft die Angiospermen-Klassifikation auf den Zustand am Ende des 19. Jh.s zurück. Das System nach A. Engler stellte ähnliche Familien zu Reihen zusammen, die den heutigen Ordnungen entsprechen.

Die Klassifikationssysteme von Armen Takhtajan definierten die Pflanzensippen (Familien) recht eng, wodurch sich eine Vermehrung der Taxa der Angiospermen ergab (Spichiger et al. 2004). Auf Takhtajan geht offenbar auch die Aufteilung der Angiospermen in übergeordnete Taxa zurück, nämlich in zwei (zuletzt drei) Klassen mit zahlreichen Unterklassen und Überordnungen.

Arthur Cronquist vom "New York Botanical Garden" stellte bis 1968 ein kohärentes Angiospermen-System mit weniger Ordnungen zusammen.

Das System von Rolf Dahlgren enthielt 2 Unterklassen der Angiospermae sowie innerhalb der Magnoliidae 25 Überordnungen, innerhalb der Liliopsidae 10 Überordnungen.


P. F. Stevens behauptet, dass nur bis zur Ebene der Pflanzen-Familie taxonomische Grenzen sinnvoll seien und gegenüber dem klassifikatorischen Disput verteidigt werden können. Schon andere Angiospermen-Systematiker seien der Meinung gewesen, dass Ordnungen kaum zu definieren und zu begründen sind.
Offenbar sollen die althergebrachten Pflanzen-Ordnungen in Zukunft durch kladistische Stammlinien ersetzt werden.


Andererseits will die APG an einigen normativen Grundsätzen festhalten - wenigstens als Lippenbekenntnis:

  1. formelle Taxa sollen identifizierbar sein
  2. durch die botanische Literatur wohlbekannte Taxa sollen erhalten bleiben
  3. die Veränderungen der Nomenklatur sollen möglichst gering bleiben
  4. die Aufteilung großer unübersichtlicher Taxa soll möglich sein

(in Stevens 2012 zitiert nach einem Artikel von A. Backlund/ K. Bremer in: Taxon 47 [1998] p.391)



Visualisierung

George L. Stebbins veröffentlichte 1974 in "Flowering Plants - Evolution above the Species Level" eine grafische Darstellung des hypothetischen phylogenetischen Baumes, indem ein virtueller Schnitt durch dessen Krone vorgenommen wurde. Diese Form der grafischen Darstellung, die der multiplen Differenzierung der Evolution besser gerecht wird als ein dichotomer Schlüssel, hatte es aber auch schon vorher gegeben.

Die dreidimensionale Darstellung des phylogenetischen Baumes geht offenbar auf Rolf Dahlgren zurück und wurde Dahlgrenogramm genannt.

Die Visualisierung phylogenetischer Beziehungen, mögen sie spekulativ sein oder nicht, wurde zu einem wichtigen Hilfsmittel.


Kladistik

Vorläufer der heute angewendeten Kladistik war die Anfang der 70er Jahre entwickelte Phänetik oder numerische Taxonomie zur Verarbeitung einer maximalen Zahl an Merkmalen. Zur Verarbeitung dieser exponentiellen Datenmengen, die mit Hilfe von Algorithmen in ein Phänogramm umgewandelt wurden, waren Computer notwendig (Spichiger et al. 2004).

Die durch bestimmte biolog(ist)ische Regeln eingeschränkte Kladistik, die zur automatisierten Erstellung von Kladogrammen führt, wurde dann zuerst in der Zoologie angewendet.

Grundsätze der Kladistik sind:
- phylogenetische Entwicklungslinien basieren auf der evolutionären Veränderung von ursprünglichen (plesiomorphen) zu abgeleiteten (apomorphen) Eigenschaften;
- das Grundprinzip phylogenetischer Verwandtschaft sind gemeinsame abgeleitete Merkmale (Synapomorphien).

Leider findet man selten stichhaltige Informationen darüber, welche Merkmale aus welchem Grunde nun eigentlich bei der Erstellung eines Kladogramms programmiert wurden.

Pflanzensystematik hat praktische Aufgaben zu erfüllen; auch die Pflanzensystematiker dürfen sich nicht um ihre Aufgabe herumdrücken, einen Bezug ihrer Systeme zur Realität ihrer Nutzer und ihrer Untersuchungsobjekte herzustellen. Ein Pflanzensystem als Nomenklatur, das nicht einmal an morphologischen Kennzeichen festgemacht wird, hat keinen Sinn.

Deshalb gibt es einen beträchtlichen Unterschied zwischen den realen Beobachtungen, die man an Blütenpflanzen gemacht hat, und einem hypothetische Kladogramm auf Grundlage von Vermutungen zur Evolution von Eigenschaften (oft auf Grundlage der theoretischen Häufigkeit von Gen-Mutationen).


Taxon oder Klade?

Im APweb wird die Darstellung des Pflanzen-Systems in Form eines kladistischen Baumes als unabdingbare Notwendigkeit dargestellt, obwohl es sich ja wohl eigentlich um nicht mehr als eine recht stümperhafte maschinelle Grafik handelt, die das Verständnis phylogenetischer Zusammenhänge durch Über-Simplifizierung eher erschwert als erleichtert.

Der Charakter des kladistischen Produktionsprozesses scheint weniger in dem zusätzlichen Gewinn sensationeller Erkenntnisse zu liegen als in einem beträchtlichen Verlust allgemeiner Information; kann ein Kladogramm die Informationen, die es zu einem Taxon gibt, überhaupt darstellen?

Stevens 2012 hebt die durch Kladen erleichterte Unterscheidung von zwei Taxa hervor, gibt aber zu, dass der bessere Weg zur Bestimmung von Pflanzen über multiple Schlüssel führe ("well-made multiple access keys"), in welchen Erkennungsmerkmale unabhängig von ihrer phylogenetischen Bedeutung verwendet werden können.


Ein gar nicht diskutiertes und daher ungelöstes Problem ist das Verhältnis der Kladistik zu den Taxa: sind die Kladen Taxa und die Taxa Kladen oder nicht?
Die Erstellung eines Kladogramms beruht grundsätzlich auf den Informationen über einzelne Taxa - andererseits ist die Computer-gestützte Kladistik ein sehr mächtiges Werkzeug, das Taxa neu definieren könnte.


Die Systematik der APG scheint nur zur Definition von Ordnungen fähig zu sein; warum stellen Unterklassen, Überordnungen, Unterordnungen usw. ein solches Problem für ihre Kladistik dar? - Verzweigungspunkte gibt es doch genug!
Die Erklärung könnte lauten, dass Kladen als zusätzliche Ordnungskategorie Gültigkeit erhalten sollen.




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Zur Systematik der Blütenpflanzen


1. Systematik als Taxonomie und Phylogenie

1.1. Neue Methoden

1.2. Parataxonomie

1.3. Ordnungs-
kategorien der Pflanzensystematik

1.4. Kladistik



2. Die Klassifikation der Blütenpflanzen (Angiospermae)

2.1. Die klassische Systematik

2.2. Die "Angiosperm Phylogeny Group"



3. Merkmals-Klassifikation

3.1. Äußere Merkmale

3.2. Klassische Merkmals-Systeme

3.3. Chemosystematik

3.4. Ökologische Verhältnisse



4. Evolution, Phylogenese, Verwandtschaft

4.1. Progressionen

4.2. Verwandtschaft - Beziehungen zwischen den Taxa



5. Fragwürdiger Output der APG-Kladistik

5.1. Beispiele



6. Quellenangaben





Klassische und heutige Systematik





Copyright © 21.12.2012 St. Th. Hahn; Corrigendum am 13.1.2013.
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