Fragwürdiger Output der APG-Kladistik


Das Original-Kladogramm der "Angiosperm Phylogeny Group" bzw. des Webseiten-Autors Peter F. Stevens ( http://www.mobot.org/MOBOT/Research/APweb/treeapweb2map.html ) bildet den Ausgangspunkt für die Beschreibung der Angiospermen auf Ordnungs-Ebene im Internet.

Die Informationsvermittlung durch die zu den Ordnungen hinführenden Kladen ist im Grunde minimal, schon allein deshalb, weil die gelieferte Information keinen formellen Gruppen zuzuordnen ist.
Es würde die Augen und die Nerven der Leser schonen, wenn diese minimale Information jeweils in einem ansprechenden Text zusammengefasst würde, um dann vielleicht sogar einen taxonomischen Rang zu begründen.

Angesichts der hier vorgelegten textlichen Ergebnisse der APG muss man sich fragen, ob die Methode der Kladistik und eine äußerlich erkennbare oder evolutionäre Verwandtschaft sich nicht gegenseitig ausschließen.


In dem Wikipedia-Artikel "Kladistik" (Stand: Nov. 2012) heißt es sinngemäß, dass "jeder Ast nur durch ein Merkmal begründet" sei. Allein schon wegen dieses Punktes könnte die Kladistik eigentlich keine biologische Aussage treffen, sondern nur eine nachgeordnete Methodik für Einzelfragen sein. -
Allerdings ist diese Angabe auch nicht ganz korrekt, denn vor der Erstellung eines Kladogramms sollte ein langwieriger Prozess unter Berücksichtigung nicht nur eines, sondern sehr vieler Merkmale stehen. Ein oberflächlicher Eindruck von dieser Schwierigkeit wird jedenfalls auch im APweb durch die endlose Reihung fachchinesischer Informationsfetzen vermittelt.


Ein weiterer kritischer Punkt bei der Erarbeitung der Kladogramme ist der hohe Stellenwert, der dabei der Genanalyse zugerechnet worden sein soll. Gensequenzen haben zwar in der Kriminalistik absoluten Beweiswert für die Identifizierung existierender Personen erlangt, den Nachweis für verwandtschaftliche Beziehungen, die Abermillionen Jahre zurückliegen, können sie aber wohl kaum liefern.



Die APG machte das Hilfsmittel, die kladistische Methode zur Auswertung statistischer Daten, zum eigentlichen Gegenstand der Pflanzensystematik. Die Darstellung der einzelnen Taxa erfolgt dagegen ziemlich konfus. Bei allen formellen Taxa wurde folgender warnende Standardtext eingefügt: "Note: Possible apomorphies are now being added throughout the site; they are in bold. However, the actual level at which many of these features, particularly the more cryptic ones, should be assigned is unclear. This is because there is very considerable homoplasy, with variation within and between clades, for most characters. Furthermore, the basic information for all too many characters is very incomplete, often coming from taxa well embedded in the clade of interest and so making the position of any putative apomorphy uncertain. Then there is the not-so-trivial issue of how ancestral states are reconstructed ..."

Kein Mensch kann aus dieser Darstellung eine reale Vorstellung über die hier vollständig klassifizierten Ordnungen und Familien der Angiospermen gewinnen.

Da das Vorkommen der meisten Merkmale sich auf die gesamte Pflanzenwelt verteilt, müsste die Auswahl der Merkmale als Grundlage dichotomer Kladen (- und damit der Taxa, zu denen sie hinführen sollen -) viel besser begründet und erläutert werden.

Wenn nun aber in Kladogrammen Pflanzenarten zusammengefasst werden, die sich in keinem Organ ähnlich sind, dann müssen sich auch diese modernen Systeme den Vorwurf gefallen lassen, künstlich zu sein.

Die Möglichkeit, dass nach Millionen Jahren Evolution keine echte Verwandtschaft mehr besteht, nach welcher man suchen sollte, selbst wenn in der Anatomie oder dem Genom noch vage Hinweise darauf zu finden sind, sollte auch phylogenetischen Systematikern klar werden. Die hier vorgestellten chaotischen Kladogramme sind übrigens der beste Beweis dafür.


Beispiele

Die schon vorher angesprochene seltsame Eigenart des APG-Systems, keine übergeordneten und ordnenden Taxa zuzulassen, ist gleichzeitig mit dem unschönen Bild verbunden, dass vor jeder der etwa 60 behandelten Ordnungen der lange Schwanz einer unbekannten, unbenannten und unerklärten Entwicklungslinie erscheint, die angeblich von 'Lignophyta' (was soll das sein) zu 'Magnoliophyta' ohne formellen Status und zahlreichen ebensowenig definierten Kladen führt, zu deren Kleingedruckten dann angeblich die angesteuerte taxonomische Ordnung oder Familie gehören soll.


Diese 'Lignophyta' werden hier einerseits von den Farngewächsen ("True roots + ..."), andererseits aber auch von den Monokotylen ohne echten Holzkörper abgegrenzt.
Aber warum werden dann Kraut- und Wasserpflanzen wie die Ceratophyllales zu ihnen gestellt?

Auf den ersten Blick ähneln diese eher den Armleuchter-Algen, und jene gelten ja tatsächlich als Kandidaten wahrscheinlicher Vorläuferschaft der Höheren Pflanzen.


Der Nachteil der dichotomen Kladistik ist außerdem, dass eine Tendenz besteht, den ausgeprägten und artenreichen Entwicklungslinien unbedeutende Schwestergruppen zuzugesellen, beispielsweise monotypische Relikte wie die Amborella oder eben die Ceratophyllum-Gruppe, die als eine parallele Entwicklung zu den 'Eudicots' (eine weitere kladistische Kategorie ohne formellen Status) dargestellt wird.

Stevens 2012 stellt fest, dass es keine morphologische Ähnlichkeiten zwischen Ceratophyllum und 'Eudicots' gebe, während die Ähnlichkeiten mit den Monokotylen Regressionen infolge aquatischer Lebensweise zu sein scheinen.
Es werden Schätzungen zitiert, wonach sich die Ceratophyllales als Schwestergruppe der 'Eudicots' vor bis zu 150 Mio. Jahren abgespalten hätten. Der "distinctive inaperturate Ceratophyllum pollen" bilde ein weiteres klassifikatorisches Problem.


Übrigens definiert Stevens die 'Eudicots' durch das Fehlen von ätherischen Ölen ("ethereal oils"), die doch unter diesen (z.B. bei Lippen- und Doldenblütlern, aber auch bei den Zitrusgewächsen) allgemein verbreitet sind!


Ob die Zusammenfassung der Nelumbaceae, Platanaceae und Proteaceae als Proteales irgendwo in der Peripherie der 'Eudicots' eine annehmbare pflanzensystematische Lösung bietet, wage ich zu bezweifeln. Die Lotusblume (Nelumbo) wurde früher zur Familie der Seerosen (Nymphaeaceae) gerechnet, denen sie in vieler Hinsicht verteufelt ähnlich sieht.

Peter Stevens geht auch in seiner Einleitung auf die neue Proteales-Gruppierung ein, aber lediglich, um zu bemerken, es sei aus dem Grunde angebracht, Platanaceae, Proteaceae und Nelumbonaceae  n i c h t  in einer Familie zusammenzufassen, weil man sich an die alten Namen gewöhnt habe ...

Die Proteaceae beschränken sich auf die Süd-Halbkugel und die Platanaceae mit den übrigen Familien auf die Nord-Halbkugel - Schnittpunkt bildet allerdings der pazifische Raum von Australien bis Südchina.

Offenbar sollen die Platanen in dieser Ordnung die ursprünglichste Gruppe sein, von welcher sich die anderen vor 120 Mio. Jahren abspalteten.

Stevens 2012 versucht dies durch Fossil-Funde auch von der Südhalbkugel zu begründen, wobei es sich um das Laub früher Platanen handeln soll.

Ein solches "Platanen-Blatt" wird schon in Schmeil's "Leitfaden der Pflanzenkunde" von 1931 abgebildet. Ich kann allerdings nicht nachempfinden, wieso es sich dabei um eine Platanae und nicht um irgendeine andere Pflanzenart handeln sollte.



Original-Bildunterschrift in Schmeil's "Pflanzenkunde", 150.Aufl., 1931:
"Blattabdrücke von Pflanzen aus dem Mittelalter der Erdentwicklung .. Blatt eines Gewächses (Crednéria), das wahrscheinlich der Platane verwandt war .."



Unsere wohlbekannte Familie der Buchengewächse (Fagaceae) wird in diesem System in direkte Beziehung zu den Kürbisgewächsen (Cucurbitaceae) und zusammen mit den Rosales zur Kerngruppe der 'Rosids' gestellt. Begründet wird diese Hypothese übrigens auch durch bestimmte anormale Gensequenzen.

Die Darstellung einer engen Verwandtschaft zwischen Cucurbitales und Fagales wird durch die folgende extrem einsilbige Formulierung definiert: "Cucurbitales + Fagales: G inferior; fruit 1-seeded, indehiscent."
Das würde also heißen, Buchen und Kürbisse sind miteinander verwandt, weil sie einen unterständigen Fruchtknoten besitzen und eine einsamige Frucht bilden (- was für die Beeren von Kürbissen gar nicht zutrifft -), die nicht aufspringt (- was für Bucheckern nicht zutrifft -)!
Dass sie ganz unterschiedliche Blüten bilden und ganz unterschiedliche Wuchstypen sind, die in ökologisch ganz unterschiedlichen Welten leben, wird der Einfachheit halber nicht erwähnt.

Taxa, die früher einen ziemlich exotischen Status besaßen (Myricaceae, Juglandaceae, Roipteleaceae, Casuarinaceae, Ticodendraceae), werden heute allesamt zu Fagales gemacht.

Die Unterfamilien der Fagaceae (insbesondere die Castanoideae) werden praktisch aufgelöst, denn Fagus sei die Schwester-Klade zu allen anderen Fagaceen.





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Zur Systematik der Blütenpflanzen


1. Systematik als Taxonomie und Phylogenie

1.1. Neue Methoden

1.2. Parataxonomie

1.3. Ordnungs-
kategorien der Pflanzensystematik

1.4. Kladistik



2. Die Klassifikation der Blütenpflanzen (Angiospermae)

2.1. Die klassische Systematik

2.2. Die "Angiosperm Phylogeny Group"



3. Merkmals-Klassifikation

3.1. Äußere Merkmale

3.2. Klassische Merkmals-Systeme

3.3. Chemosystematik

3.4. Ökologische Verhältnisse



4. Evolution, Phylogenese, Verwandtschaft

4.1. Progressionen

4.2. Verwandtschaft - Beziehungen zwischen den Taxa



5. Fragwürdiger Output der APG-Kladistik

5.1. Beispiele



6. Quellenangaben





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