Trogwetterlage, Kaltlufttropfen und Höhentief
Der Wikipedia-Artikel "Trog (Meteorologie)" weist zwar darauf hin, dass die Hochwasserkatastrophe 2021 durch eine Trogwetterlage ausgelöst worden sei, erklärt aber nicht, um welche Art von Trog es sich handelte [Wikipedia, 18. Juli 2021].
Bodentröge entwickeln sich an der Rückseite bereits alternder Tiefs hinter deren Kaltfront oder Okklusion und besitzen weder einen vollständigen Strömungswirbel noch eine vollständige Umrahmung von höherem Druck [Wikipedia, 18. Juli 2021].
Höhentröge sind nach herkömmlicher Interpretation eine Nebenerscheinung der globalen Ausgleichsströmungen (Jetstreams) in der oberen Troposphäre.
Die einseitige Krümmung eines Höhentrogs an seiner Vorderseite führt zu einem Stau der Luftströmung, wobei die Luftmassen nach unten gedrückt werden und in Bodennähe Hochdruckgebiete entstehen lassen. Die divergierenden Isobaren an der Rückseite eines Höhentrogs erzeugen Unterdruck und in Bodennähe Tiefdruckgebiete. [Wikipedia, 18. Juli 2021]
Bei Weiterführung dieser Argumentation müsste man die Katastrophengebiete im Nordwesten auf die Rückseite eines Höhentroges zurückführen, der im Süden sogar Schönwetter hervorzubringen in der Lage wäre.
Gemäß dem Wetterkarten-Archiv von wetter3.de formierte sich am Dienstag, dem 13. Juli über dem südwestlichen Frankreich ein sehr ausgeprägter Höhentrog, der sich in den beiden folgenden Tagen zu einem Kaltlufttropfen abbaute, der nach Westen über die Alpen zog [Wetterkarten wetter3.de].
Diese Troglage war am 13. mit hoher Luftfeuchtigkeit (< 90 %) über ganz Westeuropa von Frankreich über die Schweiz und Westdeutschland bis nach Norwegen verbunden [Wetterkarten wetter3.de].
Doch bereits am 14. sank die Luftfeuchtigkeit über Baden und am 15. über Nordrhein-Westfalen wieder stark ab.
Die im französischsprachigen Web vorzugsweise gebrauchte Benennung der Höhendruckverhältnisse Mitte Juli 2021 als 'Kaltlufttropfen' ('goutte froide') meint ungefähr dasselbe wie eine Troglage. Kaltlufttropfen sind allerdings durch ihre völlige Abkopplung von den sich sehr schnell bewegenden Jetstreams definiert.
Beidseitig der isobarenparallelen schnellen Höhenströmungen (Jetstreams/ Rossby-Wellen) entstehen als Höhentröge der isobaren Fläche "Kaltluftzungen mit tiefem Druck" und als Höhenrücken der isobaren Fläche "Warmluftkeile mit hohem Druck" [Nolzen 1988].
Wenn polare Luftmassen der Höhenströme abgeschnürt werden, entstehen Kaltlufttropfen, die abgekoppelt von der allgemeinen schnellen Höhenströmung außergewöhnliche Wetterlagen hervorbringen können.
Laut Nolzen 1988 wird bei Abschnürung von Kaltluftinseln im Süden der schnellen Höhenwestwinde ebendieser Jetstream vorübergehend blockiert.
Verursacher der hohen Niederschlagsmengen seien seit Ende Juni auftretende Kaltlufttropfen in mehr als 5000 m Höhe anzusehen, die in Konflikt mit bodennaher Luft Unwetter hervorrufen [Reporterre, 17. Juli 2021]. Ihr stationäres Verhalten und das Volumen der freigesetzten Wassermassen seien allerdings außergewöhnlich gewesen.
Anfang der Woche sei ein Kaltlufttropfen über dem Südwesten Deutschlands blockiert worden [Météo France, 16. Juli 2021].
Die Nachprüfung der NOAA-Wetterkarten im Archiv von www.meteociel.fr ergibt, dass der Kaltlufttropfen von Mitte Juli die Fortsetzung eines von Grönland über Island ausstrahlenden Höhentrogs bildete und praktisch erst im Laufe des 14. Juli abgeschnürt wurde.
Eine weitere trogartige Ausbuchtung polarer Luft griff Mitte Juli von der Tamyr-Halbinsel über das Westsibirische Tiefland bis zur Mongolei aus. Ausgeprägte Kaltluft-Tröge auch im Frühsommer sind in diesem Gebiet, dem kontinentalen Mittelsibirien, aber häufig. [Wetterkarten meteociel.fr]
Nicht ganz ohne Bedeutung ist, dass sich der Kaltlufttropfen vornehmlich über den Alpen festsetzte, also auch vom Boden her durch die kühleren Alpen beeinflusst wurde.
Ähnliche Niederschlagsinseln waren in diesem Hitzejahr auch über den subtropischen Gebirgen Vorderasiens zu beobachten.
Dass die obere Troposphäre und die Rossby-Wellen der Jetstreams vom Boden her beeinflusst werden, macht auch folgende Beobachtung deutlich:
Die NOAA-Karten des Jetstream-Verlaufs bei meteociel.fr zeigen, dass es am 12. - 14. Juli über Westeuropa möglicherweise zu einer Teilung des Jetstreams in Polar- und Subtropen-Jet kam, wobei der Teil, der sich über dem Unwettergebiet befand, sich schon am 14. nach Süden wandte und dem Subtropen-Jet zugesellte.
Diese Abspaltung dürfte durch ein Hitzetief über Südwest-Frankreich verursacht worden sein, das hier ebenso wie in den Mittelmeerstaaten von außergewöhnlicher Trockenheit begleitet war.
Beim Deutschlandfunk wurde die Theorie vorgetragen, die Wetterlage des 'Tief Mitteleuropa' sei für die Katastrophen der letzen Jahre und Jahrzehnte verantwortlich [Mrasek 18.07.2021].
Dieses Tief sei dafür bekannt, dass es Starkregen mit sich bringe. Normalerweise werde dieses Tief mit der Westwindströmung rasch davongetragen, doch in diesem Falle sei das von einem ortsfesten stabilen Hochdruckgebiet über Skandinavien verhindert worden.
Nach einer Auswertung des Deutschen Wetterdienstes sei das 'Tief Mitteleuropa' früher ("um 1950 herum") nur 8 -10 x im Jahr vorgekommen, heute sei es häufiger und außerdem in Verbindung zu bringen mit
- dem Jahrhundert-Hochwasser an der Elbe 2002,
- den Extremniederschlägen in Münster 2014,
- den Sturzbächen, die 2016 Verwüstungen in Simbach und Braunsbach anrichteten.
[Mrasek 18.07.2021]
Die Wetterlage eines 'Tief über Mitteleuropa' eingerahmt von Hochs besonders im Osten wird auch im "Taschenatlas Wetter" [Wiedersich 2003, S.188] beschrieben.
Sein Strömungswirbel scheint zuweilen gleichsinnig mit einer extremen, fast kreisförmigen Bogenwelle des Polar-Jetstreams zu verlaufen. Das ist natürlich nichts anderes als die Vorstufe des 'cut-off' eines Kaltlufttropfens.
Eigentlich kann ein Höhentrog oder Kaltlufttropfen aber keine ausreichende Erklärung für dieses außergewöhnliche Niederschlags-Ereignis sein, weil die sich von den Rossby-Wellen absondernden und daraufhin weniger mobilen Zyklonen eine häufige Erscheinung auch über Westeuropa sind.
Als Urheber tropisch-heißer, mit viel Feuchtigkeit angereicherter Luftmassen, die große Regenmassen nach Westeuropa bringen können, müssten vielmehr die benachbarten Höhenrücken angesprochen werden.
Die Mittelmeerländer mit ihrer wütenden Hitzewelle können eigentlich nicht das Herkunftsgebiet gewesen sein; die in diese Hitzetiefs einströmende Winde fachten die dortigen Brände selbst noch an.
Allein das Mittelmeer selbst bildet einen im Vergleich dazu kühlen und stabilen Raum und erzeugt deshalb einen gewissen stabilen Hochdruck.
Viel größer ist in dieser Hinsicht aber der Einfluss des Atlantiks, dessen Luft sich an der Wasseroberfläche viel weniger erwärmt als über dem Mittelmeer, wo zur Zeit des Umwetters die gleichen oder höhere Lufttemperaturen herrschten als in Mitteleuropa über dem Land.
Höhentief und Kältetief
Noch relativ präzise Aussagen zur aktuellen Unwetterkatastrophe machte die Unwetter-Webseite uwr.de .
Die dort präferierte Benennung eines stationären Höhentiefs als Ursache der Unwetter wirkt aber nicht gerade überzeugend.
Ihre niederschmetternd simplizistische und geradezu beleidigende Definition war: "Bei einem Höhentief handelt es sich um ein Gebiet kälterer Luft in der Höhe von ungefähr 5 km ." [Templin, uwr.de]
Ab 2 - 3 km Höhe findet man in der Atmosphäre eigentlich nur noch "kältere Luft" ...!
Auf der uwr.de - Webseite wurde immerhin eine Animation dieses Höhentiefs mitgeliefert, das sich aber viel zu schnell bewegte, um stationär zu sein, nämlich von der Irischen See (am 11. Juli) hauptsächlich über Frankreich (am 12. und 13. Juli), um sich am 14. Juli im Juragebiet westlich der Alpen aufzulösen. Bei diesem Posting handelte es sich allerdings um eine Prognose.
Und eigentlich folgte dieses angebliche Höhentief lediglich dem Lauf des Bodentiefs 'Bernd'!
Der Webseite war gleichzeitig eine Bodendruck-Karte für Montag, den 12. Juli beigefügt, auf der ein Bodentief über Nordfrankreich auf seiner Vorderseite von der französischen Mittelmeerküste warme Luft nach Mitteleuropa transportierte.
Es wurden Gewitter und Überflutungen prognostiziert. [Templin, uwr.de]
Unter dem Eindruck der dann erfolgten Katastrophe in Westdeutschland und Belgien und von parallelen Vorkommnissen im fernen Osten in Zhengzhou, wo U-Bahn-Tunnel und -Triebwagen geflutet worden waren, wurde auf dieser Webseite die Theorie vom Höhentief noch einmal bekräftigt [Dietz, uwr.de].
Ein "quasi stationäres Höhentief über Mitteleuropa" sei das "Hauptkriterium" der Unwetterkatastrophe gewesen. Als Beleg war dem Posting eine 'eumetsat'-Europa-Karte vom 14. Juli beigefügt.
Auffällig ist, dass "regelrechte Schauer- und Gewitterstraßen" der Höhenkarte sich ausschließlich in einem randlichen Ring bewegten; typisch für Tiefs ist aber, dass die stärksten Niederschläge ziemlich nahe am Zentrum fallen - vielleicht handelte es sich doch um ein Höhenhoch ...
Ohne Kartenbeleg blieb die Behauptung, dass die Extremniederschläge in Zhenghzou, der Hauptstadt der Provinz Henan in China, ebenfalls auf ein Höhentief zurückzuführen seien [Dietz, uwr.de].
Auch der Bericht eines 'Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM)' behauptet, das sich zunächst über Südwestdeutschland formierende Niederschlagsgebiet habe "sich entsprechend der zyklonalen Rotation" (gegen den Uhrzeigersinn) um ein Höhentief herum bewegt und sich zunächst ostwärts, dann nach Norden verlagert und sei dann über Norddeutschland wieder nach Westen eingeschwenkt [CEDIM, am 21. Juli 2021].
"Über Teilen Nordbayerns und Teilen Sachsens lösten von Gewittern durchsetzte Starkregenfälle am 13. Juli 2021 bereits gebietsweise Überschwemmungen aus, Hof registrierte eine Niederschlagsmenge von 85 mm, in der Nacht zum 14. Juli 2021 gingen in Hagen-Bölling sogar 95 mm Regen nieder." [CEDIM, am 21. Juli 2021]
Höhentiefs müssten eigentlich am Grunde der Troposphäre Hochdruck hervorrufen wie das Beispiel des Indischen Wintermonsuns zeigt. Sie sind in der Literatur ziemlich unscharf als etwas anderes definiert als die durch großräumige Höhenströmungen verursachten Höhentröge an der Troposphärengrenze.
Auf der Webseite "www.wettergefahren-fruehwarnung.de" wurde jedoch einmal mehr die Theorie von dem allesbeherrschenden Einfluss der höheren Troposphäre betont und endlich auch das obskure Konzept des Kältetiefs definiert: ".. on July 12, a deep trough formed over the eastern Atlantic. Under slight eastward drift, the southern part of the trough tied off and became a cut-off low. Due to the cold core of this low pressure area, low pressure area BERND was not only concentrated on the layers near the ground, but extended over the full vertical range of the troposphere. This specific type of depression is called a cold low." [CEDIM, am 19. Juli 2021]
Hier wäre allerdings nur die Interpretation möglich, dass die konvergierende Warmluft des Tiefs 'Bernd' die kalten Schichten eines Höhentiefs leicht durchbrechen und destabilisieren konnte und dadurch (und nicht "due to the cold core") zu heftigen Niederschlägen führte.
Das 'Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology' schreibt gutachterlich, ein "markanter Höhentrog" habe sich ausgehend vom Nordatlantik südlich der Britischen Inseln Frankreich genähert und sei dabei "immer mehr als Höhentief in Erscheinung" getreten [CEDIM, am 21. Juli 2021].
Am 12. Juli 2021 habe "sich das Gebilde tiefen Geopotentials mit seiner meridional orientierten Achse von der westlichen Nordsee" über Frankreich bis zu den Balearen erstreckt, sei aber durch ein blockierendes Hochdruckgebiet im Nordosten am Weiterziehen gehindert worden [CEDIM, am 21. Juli 2021]. Ebenso sei das Bodentief "Bernd" an der Nordflanke des Höhentiefs seit dem 13. Juli über Westdeutschland blockiert gewesen.
Für den 14. Juli wird hier auf die Formation einer in nordwestlicher Linie verlaufenden Tiefdruckrinne von Luxenburg über Mittelgebirge und Niederrhein bis an den Rand der Norddeutschen Tiefebene hingewiesen, wo sich das Zentrum des Tiefs befand [CEDIM, am 21. Juli 2021]. Tiefdruck hatte sich mittlerweile allerdings auch von Italien über Westbalkan und Alpen bis nach Skandinavien ausgebreitet.
Man kann diese Linie maximaler Niederschläge mit der Nordwestflanke des sich mittlerweile über den Alpen befindlichen Zentrums jenes dubiosen Höhentiefs in Verbindung bringen.
Um einige Dimensionen verständlicher wären diese Expertisen gewesen, wenn sie einfach bei der Bezeichnung Höhentrog geblieben wären, der an seiner Rückseite das Bodentief verstärkte.